74 Soziale Zustände. Das Lehriswesen. Das Ritterlmn.
Scharf geschieden von dieser ganzen Welt des Vasallen- und
Rittertums, die sich als bevorzugte Klasse um den König zusammen¬
schloß, war die Klasse der Leibeignen, Hörigen, Dienstbaren,
Fr ohn er, oder wie sie sonst hießen. Kaum gab es noch einen Unter¬
schied zwischen dem von Haus aus Freien, der sich in den Dienst eines
Andern begeben hatte, und dem von Geburt Unfreien. Der allge¬
meine Zug nach der Unfreiheit hin beräth sich it. ct. auch darin, daß
bei Heiraten zwischen Freien und Unfreien die Kinder jederzeit „ber
ärgern Hanb folgten“, b. h. unfrei wurden.
Die zu wirtschaftlichen Diensten Verpflichteten wohnten entweder
im Hause ihres Herrn (als Dienstboten), odec in einem besondern
Hause (casa), wo sie dann „Häusler" (casalini) genannt wurden. Sie
mußten als Handarbeiter auf beut herrschaftlichen Gut Dienste thun.
Hatten sie etwas Felb babei, so leistetensie davon Naturalabgaben, außer¬
dem Haud- oder Spanndienste. Jene Abgaben und dtese Dienste
waren eigentlich „gemessene", d. h. bestimmt normierte, (bisweilen durch
einen schriftlichen Vertrag); allein nicht fetten wurden daraus unge¬
messene, d. H. lediglich in das Belieben des Herrn gestellte.
Verschiedene zusammenwirkende Ursachen brachten teilweise eine
Milderung dieser drückenden Zustände der Hörigen hervor. Die eine
dieser Ursachen war die Besetzung der den Slawen abgenommenen
Ländereien mit Kolonisten, die man aus Holland und Flandern
herbeizog. Natürlich kamen diese nur gegen die Zusage besserer Be¬
dingungen. Sie erhielten gewöhnlich das Land als freie Koloneu,
gegen einen mäßigen Erbpacht und einen Naturalzehnten. Solche
Kolonieen gründeten 1106 der Erzbischof Friedrich von Bremen (bei
Hamburg), 1144 der Graf Adolf von Holstein (bei Lübeck), 1164
Albrecht der Bär (in der Altmark). Die Vorrechte, welche diese
Bauern genossen, hießen „das holländische" oder „das flamändifche
Recht". Dies wirkte auch auf die Nachbargegeuden günstig zurück:
man konnte nicht wohl unmittelbar neben den freien Kolonen die
andern Bauern wie das Vieh behandeln. Auch die Teilnahme vieler
Unfreien an den Kreuzungen (wovon ihre Herren sie nicht gut zurück¬
halten konnten) machte, indem sie bie Zahl ber arbeitenben Hänbe ver¬
ringerte, baß bie Zurückgebliebenen etwas besser behandelt würben. Das
Gleiche war der Fall mit den Auswanderungen in die von den
deutschen Ritterorden eroberten Länder: Preußen, Kurland u. s. w. Am
allermeisten aber wirkte in dieser Richtung das Aufblühen der Städte,
welche den Hörigen vom Lande, die wegen zu arger Bedrückung ihren
Herren entflohen, persönlichen Schutz und Gelegenheit zn einer freiern