Full text: Von der Entstehung eines selbständigen deutschen Reichs bis zu Karl V. 843 - 1519 (Theil 2)

74 Soziale Zustände. Das Lehriswesen. Das Ritterlmn. 
Scharf geschieden von dieser ganzen Welt des Vasallen- und 
Rittertums, die sich als bevorzugte Klasse um den König zusammen¬ 
schloß, war die Klasse der Leibeignen, Hörigen, Dienstbaren, 
Fr ohn er, oder wie sie sonst hießen. Kaum gab es noch einen Unter¬ 
schied zwischen dem von Haus aus Freien, der sich in den Dienst eines 
Andern begeben hatte, und dem von Geburt Unfreien. Der allge¬ 
meine Zug nach der Unfreiheit hin beräth sich it. ct. auch darin, daß 
bei Heiraten zwischen Freien und Unfreien die Kinder jederzeit „ber 
ärgern Hanb folgten“, b. h. unfrei wurden. 
Die zu wirtschaftlichen Diensten Verpflichteten wohnten entweder 
im Hause ihres Herrn (als Dienstboten), odec in einem besondern 
Hause (casa), wo sie dann „Häusler" (casalini) genannt wurden. Sie 
mußten als Handarbeiter auf beut herrschaftlichen Gut Dienste thun. 
Hatten sie etwas Felb babei, so leistetensie davon Naturalabgaben, außer¬ 
dem Haud- oder Spanndienste. Jene Abgaben und dtese Dienste 
waren eigentlich „gemessene", d. h. bestimmt normierte, (bisweilen durch 
einen schriftlichen Vertrag); allein nicht fetten wurden daraus unge¬ 
messene, d. H. lediglich in das Belieben des Herrn gestellte. 
Verschiedene zusammenwirkende Ursachen brachten teilweise eine 
Milderung dieser drückenden Zustände der Hörigen hervor. Die eine 
dieser Ursachen war die Besetzung der den Slawen abgenommenen 
Ländereien mit Kolonisten, die man aus Holland und Flandern 
herbeizog. Natürlich kamen diese nur gegen die Zusage besserer Be¬ 
dingungen. Sie erhielten gewöhnlich das Land als freie Koloneu, 
gegen einen mäßigen Erbpacht und einen Naturalzehnten. Solche 
Kolonieen gründeten 1106 der Erzbischof Friedrich von Bremen (bei 
Hamburg), 1144 der Graf Adolf von Holstein (bei Lübeck), 1164 
Albrecht der Bär (in der Altmark). Die Vorrechte, welche diese 
Bauern genossen, hießen „das holländische" oder „das flamändifche 
Recht". Dies wirkte auch auf die Nachbargegeuden günstig zurück: 
man konnte nicht wohl unmittelbar neben den freien Kolonen die 
andern Bauern wie das Vieh behandeln. Auch die Teilnahme vieler 
Unfreien an den Kreuzungen (wovon ihre Herren sie nicht gut zurück¬ 
halten konnten) machte, indem sie bie Zahl ber arbeitenben Hänbe ver¬ 
ringerte, baß bie Zurückgebliebenen etwas besser behandelt würben. Das 
Gleiche war der Fall mit den Auswanderungen in die von den 
deutschen Ritterorden eroberten Länder: Preußen, Kurland u. s. w. Am 
allermeisten aber wirkte in dieser Richtung das Aufblühen der Städte, 
welche den Hörigen vom Lande, die wegen zu arger Bedrückung ihren 
Herren entflohen, persönlichen Schutz und Gelegenheit zn einer freiern
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.