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B. Zur Länderkunde,
Als Achmed später am prasselnden Feuer eine beruhigende Probe seiner Koch-
kunst lieferte, wurde es uns in unserer Einsamkeit trotz Nebel und Nässe ganz gemütlich,
obwohl ich vorher den Führer unter Muini Amauis Aufsicht uach Marangn zurück-
gesandt hatte mit dem Befehl, am nächsten Morgen uuter alleu Umstäuden mit dem
ausgebliebenen zweiten Führer zurückzukehren. Nach einer kühlen Nacht, in der wir
mehrmals durch Elefantengetöse erweckt wurden, hatten wir in der Frühe vollauf
Zeit, unsere orchideenreiche Waldwiese abzusammeln, bis die beiden Führer, mit
Lebensmitteln beladen, eintrafen und der Einstieg in den Urwald begann.
Wie gestern, so heute, wie Anfang Juli 1887, so jetzt Ende September 1889,
jahrein, jahraus ist diese Region der mittleren Wolkenhöhe die Zone größter Feuchtig-
keit. Wo stete Befeuchtung und doch regelmäßiger Abfluß des Wassers gegeben ist,
da entwickelt sich überall in der Welt der Urwald innerhalb seiner Wärmegrenzen
zur großartigsten Üppigkeit. Beide Bedingungen sind am mittleren Kilimandscharo
in hohem Maße erfüllt, denn die Niederschläge erfahren in dieser Höhe keine nennens-
werte Unterbrechung, und die sanften Formen des vulkauischeu Bergkörpers sorgen
für die gleichmäßigste Entwässerung des Bodens. Warum die Nordseite des Gebirges
in dieser Beziehung weniger begünstigt ist, werden wir später zu erörteru haben.
Da es für den Kilimandfcharowald keinen ausgesprochenen Wechsel der Jahres¬
zeiten, keine regenlose Periode gibt, müssen seine Bäume, um uicht in den Nieder-
schlagen zu ersticken, in ihren Blättern so organisiert sein, daß sie fortwährend tran-
spirieren können. Der Kilimandscharowald hat deshalb nur immergrüne Banm-
formen; periodische Belaubung ist allein der kleinen Stauden- und Krautvegetatiou
eigen. Wenn in den trockenen Steppenebenen Schutz gegeu übermäßige Trauspiratiou
das Orgauisationsprinzip der Bäume war, so ist es hier Schutz gegen Beschränkung
der Trauspiratiou. Durch Glätte und Wachsüberzug der Blattoberfläche halten die
Pandanus-, die Dracäuen- und ähnliche Formen die Spaltöffnungen für die Ver-
dunstung frei, durch feinen Haarbezug die Clavijaformen, Essigbäume und andere mehr.
An den Stellen größter Nässe, wie in den Bachläufen, streben die nach Lnft ringen-
den Pflanzen, die Farne uud andere, nach möglichst ausgedehnten Verdunstuugs-
flächen durch möglichst große Blattentwicklung. Formen und Arten, die an trockenen
Plätzen ziemlich lleinblätterig sind, treiben hier Blätter von erstaunlichem Umfang.
Die triefende staudige Uutervegetatiou schlägt uns anfänglich auf unferm Marsch
über dem Kops zusammen und durchnäßt uns bis auf die Haut. Weiterhin werden
die Baumbestände noch dichter, Lianen winden sich in unendlichen Verschlingungen
von Stamm zu Stamm, und den Boden überzieht ein dichter, sattgrüner Polster-
teppich von niedlichen Farnen, auf den das braune Band unseres morastigen Pfades
das einzige Ornament zeichnet. Stämme, Äste und Lianen sind überzogen mit
tausendfältigen Schmarotzern und Scheinschmarotzern, unter welchen ein langes,
gelbbraunes Hängemoos alle anderen in Zahl und Größe überwiegt. Vom Regen
find sie vollgesogen wie Badeschwämme und setzen unbarmherzig das Geschäft der
Durchnässung an uns fort. Die Träger haben obendrein sehr schwere Arbeit bei dem
unaufhörlichen Wenden, Bücken, Kriechen und Steigen zwischen den Wurzeln uud über
die stehenden und gestürzten Stämme. Glücklicherweise ist das Terrain nirgends steil.
Von Zeit zu Zeit treteu wir aus dem Waldesdunkel auf eine lichte Kampine
hinaus, wo wieder mit vollen Lungen Lust geschöpft werden kann. Es ist seltsam,
wie scharf diese dem Wald eingesprengten kleinen Grasfluren gegen den Wald hin
Ein Somalineger, Diener Hans Meyers. [H.]