Full text: Erdkundliches Lesebuch für die Oberstufe höherer Lehranstalten und Seminare

3. Das tropische Klima, 
37 
Der Himmel am Äquator. — Im Bereiche der Äquatorialzone steht die 
Soune um Mittag nicht nur zweimal des Jahres lotrecht, sondern sie steht auch meh- 
rere Monate so nahe dem Zenit, daß ohne sorgsame Beobachtung der sehr kurzen 
Schlagschatten aufrechter Gegenstände der Unterschied kaum wahrnehmbar ist. Der 
Mangel der Schlagschatten auf horizontalen Flächen, der auf diese Weise einen großen 
Teil des Jahres charakterisiert, ist in der Tat für jeden Bewohner der gemäßigten 
Zone eine höchst ausfallende Erscheinung. Ebenso überraschend aber ist der Anblick 
des Sternenhimmels. Das Sternbild Orion geht durch den Zenit, der Große Bär 
steht dagegen tief unten am nördlichen Horizonte, und der Polarstern erscheint ent- 
weder nächst dem Horizonte, oder er verschwindet ganz und gar, je nachdem der 
Beobachter sich nördlich oder südlich vom Äquator befindet. Gen Süden sind das 
südliche Kreuz, die Magelhanischen Wolken und die tieffchwarzen „Kohlensäcke" die 
hervorragendsten Gegenstände, die in unseren nördlichen Breiten unsichtbar sind. 
Aus demselben Grunde endlich, aus dem die Sonne den Zenit passiert, erscheinen 
auch die Planeten viel häufiger in dessen Nähe als bei uns uud geben auf diese Weise 
gute Gelegenheit zu astronomischen Beobachtungen. 
Intensität der meteorologischen Erscheinungen. — Die große Heftig- 
keit der Witterungserscheinungen, welche man allgemein als einen Charakterzug 
der Tropen ansieht, ist dies durchaus nicht in irgendwelchem hervorstechenden Grade. 
Störungen der Elektrizitätsverteilung sind viel häufiger als in der gemäßigten Zone, 
aber im ganzen durchaus nicht gewaltsamer. Stürme sind selten sehr heftig, wie 
denn auch das Barometer einen hohen Grad von Beständigkeit zeigt. Die täglichen 
Schwankungen desselben übersteigen in Batavia selten | Zoll, und die größten 
Unterschiede während dreier Jahre betrugen weniger als Zoll! Die Regenmenge 
ist allerdings sehr groß, 70 bis 80 Zoll im Jahre sind etwa das Mittel, und da der 
Hauptregenfall sich auf 3 bis 4 Mouate konzentriert, so sind die einzelnen Güsse oft 
sehr bedeutend. Der heftigste Regenguß in Batavia während dreier Jahre lieferte 
3,8 Zoll in einer Stunde — am 10. Januar 1867 von 1 bis 2 Uhr nachts —, doch war 
dies ganz und gar eine Ausnahme; selbst eine halb so große Menge ist etwas Un- 
gewöhnliches. Die Maximalmenge für 24 Stuudeu betrug 7^ Zoll; allein mehr 
als 4 Zoll pro Tag kommen höchstens 2 bis 3 mal im Jahre vor. Die Bläue des 
Himmels ist vermutlich nicht so dunkel wie in manchen Teilen der gemäßigten Zone, 
der Glanz des Mondes und der Sterne nicht merklich größer, als in unseren klarsten 
Winternächten und sicher geringer als in manchen Wüstenstrecken und selbst in Süd- 
enropa. 
Im ganzen muß man sagen, daß weit mehr Gleichförmigkeit und Fülle als 
Übermaß der Einzelerscheinungen die Grundzüge der klimatischen Erscheinungen der 
Äquatorialzone sind. 
Schlußbemerkungen. — Wir können dieses Kapitel über das äquatoriale 
Klima nicht besser schließen als mit der nachfolgenden Beschreibung der Vorgänge 
zu Beginn der trockenen Jahreszeit in Para. Wir entnehmen sie aus Bates' Werk 
über das Gebiet des Amazonenstromes (Naturalist on the Amazons), da sie viele 
der Charakterzüge eines typischen Tages der Äquatorialwelt lebendig zur An- 
schauung bringt. 
„In der Frühe — während der ersten zwei Stunden nach Sonnenaufgang — 
war der Himmel stets wolkenleer, das Thermometer zeigte 22 bis 23° C; der Tau, 
der schwer auf den Blättern lag, oder der Regen der Nacht, welcher sie noch in reichem 
Maße benetzte, verschwand rasch in der Glut der Sonne, die von Osten her gerade
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.