Deutsche Sagen.
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falls schön gearbeitete Erztafel bedeckt, und auf dieser Tafel sieht man
einen kopflosen menschlichen Oberkörper, die Arme über dem Rumpfe
erhoben. 2n der einen Ecke erblickt man einen Fuchs, in der anderen
einen großen Raben, der einen Ring im Schnabel hat. Beide Denk¬
mäler stehen in Zusammenhang.
Thilo von Trotha besaß einen sehr kostbaren Ring, der ihm un-
gemein lieb und wert war. Beim Waschen pflegte er ihn vom Finger
abzuziehen und in das offene Fenster seines Schlafgemaches zu legen.
Eines, Tages vermißte der Bischof nach dem Waschen den kostbaren
Ring. Nirgends war derselbe aufzufinden; außer dem Bischöfe hatte
das Gemach nur dessen alter Kammerdiener betreten, den der Bischof
seiner Treue wegen hochschätzte und den diese Treue gegen allen Ver¬
dacht, daß er seines Herrn kostbaren Ring entwendet habe, schützte.
Allein die Liebe, die der Bischof seinem treuen Diener kündgab,
hatte schon längst diesem unter dem übrigen Hofgesinde Feinde und
Neider erweckt.
Es gelang, den treuen Diener des Diebstahls zu verdächtigen.
Er wurde verhaftet, die Untersuchung eingeleitet und von ihm das
Geständnis, daß er den Ring entwendet habe, durch die Folter erpreßt.
Das Urteil lautete auf Enthauptung. Auf dem Schafott widerrief der
Unglückliche, obschon vergebens, sein Geständnis und erklärte, daß er
zum Zeichen seiner Unschuld, sobald der Kopf gefallen sei, die Hände
über dem Rumpfe gen Himmel erheben werde, was denn auch ge¬
schehen sein soll. Schon dies hatte in dem Bischof Zweifel an der
Schuld des alten Dieners erregt, und Schwermut bemächtigte sich
seiner. Auch sollte bald dessen Unschuld erwiesen werden.
Eines Tages erschien nämlich beim Bischöfe ein Schieferdecker
und überreichte ihm den abhandengekommenen Ring, den er bei einer
Dachreparatur am weißen Turme, einem hohen Turme des Schlosses
in der Gegend der Domkirche, in einem dort befindlichen Rabennefte
nebst anderen Kostbarkeiten von Gold und Edelsteinen gefunden hatte.
Da ließ der Bischof seines unschuldig gemordeten Dieners Leiche aus
dem Grabe, das er auf der Richtstätte erhallen hatte, in die Kapelle
bringen und beerdigen und auf das Grab jene Erzplatte legen, auf
welcher der Rumpf mit nach oben erhobenen Armen den Vorgang
bei der Hinrichtung des unschuldig Gemordeten bezeichnet, der Fuchs
aber die Verleumder andeutet und auch der eigentliche Dieb des
Ringes seine Stelle fand. Den Bischof aber warf der Kummer auf
das Lager, von dem er nicht wieder erstand. Fortwährend wird noch
infolge einer vom Bischof gemachten Stiftung, die den Unterhalt eines
Raben reichlich sichert, auf dem ersten Schloßhof in einem großen
turmartigen Bauer ein großer Kolkrabe zum Andenken an den Vor¬
gang unterhalten.