Full text: Charakterbilder deutschen Landes und Lebens für Schule und Haus (Theil 3)

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giebt es des Morgens, Kartoffeln mit Häringen des Abends, jedoch 
verdrängt das schmacklose Cichorienwasser in manchen Gegenden die weit 
kräftigere und nahrhaftere Frühsuppe. Honigbrod giebt es nur selten, 
da die Bienenzucht abnimmt-, ein gutes Stück Speck oder Schinken zum 
schwarzen Brode gilt als Leckerbissen. 
Der Bauer trägt gewöhnlich einen blauen Rock, Kniehosen in vielen 
Gegenden; nur auf der Halbinsel Mönchgut auf Rügen, in einigen 
Dörfern bei Stargard und Köslin fanden wir eigenthümliche Trachten, 
welche als Erbstücke der Vorfahren beibehalten werden. Auf Mönchgut 
fanden Westphalen ächtes paderbornsches Platt, und da jene Gegend 
zum Kloster Eldena gehörte und durch Bauern aus Westphalen vor un- 
gefähr 600 Jahren colonisirt wurde, so hat sich dort Jahrhunderte 
lang eine abgeschlossene Eigentümlichkeit erhalten. An Westphalen er- 
innerten uns auch Bauerndörfer bei Neustettin, wo die Bauart und 
Ackerlage uns jene Gegend vor Augen führte. Dort liegen die Acker- 
stücke auf die bunteste Weise durcheinander gewürfelt, jedes ist mit einem 
lebendigen Zaune von Eichen, Buchen :c. umgeben, deren Stämme ab- 
geknickt und deren Zweige durch einander geflochten sind. Wiesen, Aecker, 
Hütung und Gehölz folgen auf einander. An der Küste findet man 
andere Dörfer, die an Oberdeutschland erinnern. In ihnen zieht sich 
der Acker in einem langen Streifen bis zur Grenze, an dessen Ende die 
Hütung liegt. Zum äußersten Ackerstücke gelangt man nur, wenn man 
die vorderen passirt hat, so daß manche Unbequemlichkeiten dadurch ent- 
stehen. Vor der Ansiedelung war in solchen Dörfern die Gemeinheits- 
aufhebung schon eingetreten, die im andern Kreise erst durch Separation 
eingeführt werden mußte. Zwischen Greifenberg und Kolberg stießen wir 
auf Bauernhäuser, die Wohnung, Scheune und Stallung unter einem 
Dache enthielten. Das größte Bauerndorf, Balm bei Neustettin, hat 
einige 80 Bauern, die ihr Vieh von Knechten und Mägden einzeln in 
den Knicken, die sich vom Dorfe eine Meile hinziehen, weiden lassen. 
Man melkt und buttert dort auf der Weide. Knecht und Magd liegt 
in einer Hütte, ersterer liegt auf Stroh, letztere kriecht in einen Sack, 
welchen sie unter den Armen zuschnürt. Trotz dieses engen Zusammen- 
lebens ist die Sittlichkeit wenig gefährdet. 
Der schönste Menschenschlag ist in Weitzacker bei Pyritz, aber die 
sonstige Körperbeschaffenheit ist nicht makellos, da beim Ersätze viele junge 
Leute wegen körperlicher Gebrechen zurückgestellt werden müssen. Die 
Physiognomien dieser Familien haben ein stereotypes Gepräge, das sich 
mehr als bei städtischen Familien fortpflanzt. So sahen wir das Bild 
eines stettiner Kaufmanns, Namens Loitz, der im 16. Jahrhunderte der 
Rothschild von Pommern war und der als Knabe mit einem Stocke in 
der Hand auf der langen Brücke beim Aufziehen der Klappe als Lauf- 
bursche sich vermiethet und dann sein Glück gemacht hatte. Er war der 
Sohn eines Bauern aus dem Dorfe Klempin bei Stargard; dort lebt
	        
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