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47. Das Nennthier.
ff Das Rennthier weidet auf den hohen, wüsten Fjellen Finnmarkens,
auf jenen fürchterlichen Sümpfen, deren braune Decke das bittre Rennthier-
moos trägt. Wenn die Sommerhitze hier oben eintritt, sieht es sich von zahl¬
losen Mücken- und Fliegenschwärmen verfolgt, welche Menschen und Thieren
das Leben wahrhaft unerträglich machen. Es ist daher für dasselbe eine Wohl¬
that, daß seine Herren mit ihm an die kühle Meeresküste oder in die tieferen
Thäler hinabziehen, wo die Wolken des Ungeziefers in den Winden zerstieben.
Kaum aber naht der Herbst, so erwacht die Begierde nach dem Schnee der
Berge, und vergebens wäre es, dem Verlangen des Thieres zu wehren. Die
ganze Heerde der ohnehin nur halbgezähmten Nenner würde gewaltsam ent¬
laufen, um in wilder Freiheit mit ihren Brüdern die Gebirge zu durchirren.
Zieht der Lappe im Herbste aus die Alpen zurück, so werden die Nenn-
thiere mit allem Eigenthume beladen, wie man Pferde beladet. Es werden dazu
die stärksten ausgesucht, und man vertheilt möglichst die Last; denn ein Restu-
thier trägt nicht viel. Den großen Leitthieren werden Glocken angehängt, und
so wandelt die Karavane, die mindestens zwei hundert, zuweilen aber mehr als
2000 Geweihe zählt, die öden Fjellen aufwärts in die unermeßlichen Wüsten,
gefolgt von der Familie und umkreist von den wachsamen Hunden. Der Haus¬
vater bestimmt endlich einen zur Winterrast geeigneten Ort. Hier baut er feine
Hütte. Dabei sucht er gern die Nähe einer geschützten Schlucht, wo Birke t^nd
Kiefer wachsen, wo ein Bach niederstürzt, und er baut dann diese Hütte etwas
fester, als das leichte Sommerzelt, bedeckt sie von außen mit Rasen, bekleidet
sie innen mit den Fellen des Thieres, dem er Alles verdankt, und erwartet
nun, umringt von seinen Vorräthen, die weiße, warme Decke, welche der Him- :
mes ihm aus den Wolken schickt. Der Schnee fällt ellenhoch; aber das Renn¬
thier achtet das nicht. Es weiß mit seinen Hufen die Hülle fortzuscharren,
weiß die Kräuter und Moose darunter zu stnden und irrt auf diesen unge¬
heuren Schneefeldern umher, ohne je eines Stalles oder einer Waruing zu
bedürfen.
.^Sieben dem Wohnplatze des Lappen steht meist noch ein Zelt. Hier spei¬
chert er auf, was er an Mehl, Fellen und Gerathen besitzt. Gewöhnlich aber
hat er nichts als einige hölzerne Schüsseln, einen Kessel, einige Kleidungsstücke,
einige Pelzdecken, und an den Zeltstangen hangen die Rennthiermagen, worin
er seinen Milch- und Käsevorrath verwahrt. Auf einer andern Seite der Hütte
ist aus Pfählen eine Art Hürde gemacht, in welcher die Rennthiere des Tages
zweimal gemolken werden. Dies ist das Anziehendste für den Fremden. Die
Hunde und Hirten treiben die Heerde herbei, und die schönen Thiere mit den ^
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