130
Geschichte.
I
Deutsch-Südwestafrika, woselbst ein Bremer Kaufmann ausgedehnte Nieder¬
lassungen hatte, mtter deutschen Schutz gestellt. Dann folgten die Erwerbungen
von Togo, Karnerun, Deutsch-Ostafrika, Kaiser-Wilhelmsland und einigen
kleineren Gebieten. 1884 entstand auf Deutschlands Anregung der Welt-
Postverein, durch den es möglich geworden ist, Briefe und andre Postsachen
für billiges Porto nach allen Teilen der Erde zu senden.
b) Die innere Entwicklung des Deutschen Reiches. Um das neu¬
gegründete Reich zu festigen, wurden nach und nach einheitliche Gesetze ge¬
geben. Das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes erlangte Geltung im
ganzen Reiche. 1879 wurde eine einheitliche Gerichtsverfassung angeordnet.
Über bürgerliche Streitigkeiten entschieden fortan in allen deutschen Gebieten
die Amts-, Land- und Oberlandesgerichte. Als höchstes Gericht wurde das
Reichsgericht in Leipzig eingesetzt. Strafsachen hingegen, die Vergehen gegen
die öffentliche Ordnung betrafen, kamen vor die Schöffengerichte, Straf¬
kammern und Schwurgerichte, bei denen außer den Richtern auch Geschworene
über die Schuld entschieden. Den einzelnen Staaten blieb nur die Gesetzgebung
für Kirche::, Schulen, Polizei- und Steuerwesen. Einheitliche Münzen, Maße
und Gewichte trugen seit 1875 zur Erleichterung von Handel und Verkehr wesent¬
lich bei. Für das Postwesen behielten sich nur Bayern und Württemberg be¬
sondere Rechte vor. Durch die Erfindung und Verbreitung mannigfacher
Maschinen sowie durch die Ausnutzung von Dampf und Elektrizität nahmen
Handel und Verkehr einen ungeahnten Aufschwung. Besonders in größerer:
Städten entstanden zahlreiche Fabriken, die billigere Waren lieferten als
die Handwerker und darum den Wettbewerb f Konkurrenz^ des Kleinbetriebes
sehr erschwerten. Die Aussicht auf hohen Lohn für die Fabrikarbeit lockte
Scharen von Landbewohnern in die Städte. Kleine Handwerker gaben
ihre Werkstätten auf und suchten Arbeit in den Fabriken. Gewerbefreiheit
und Freizügigkeit erleichterten jeden Wechsel des Wohnortes. So kam es,
daß die Landbevölkerung allmählich abnahm, während die Einwohnerzahl
der Industriestädte zusehends wuchs. Große Fabriken gingen häufig in den
Besitz von Gesellschaften über, so daß an einzelnen Stellen bedeutende Kapi¬
talien angehäuft wurden. Gerieten die Arbeiter ohne ihre Schuld in Not,
so waren die Arbeitgeber nicht verpflichtet, sie zu unterstützen, so daß über
viele Arbeiterfamilien das Elend hereinbrach. Dies alles trug dazu bei,
den Gegensatz zwischen den Unternehmern und den Arbeitern zu verschärfen
und die Unzufriedenheit der Arbeiter zu wecken und zu stärken. Da beschloß
der Kaiser, den wirtschaftlich Schwachen durch den Staat Hilfe zu bringen. Im
Jahre 1881 verkündete er den Reichstagsabgeordneten in einer Botschaft,
daß die hilfsbedürftigen Arbeiter ein Recht auf den Beistand des Staates hätten,
und Fürst Bismarck rief ihnen zu: „Geben Sie dem Arbeiter ein Recht auf
Arbeit, solange er gesund ist; sichern Sie ihm die Wege, wenn er krank ist; sichern
Sie ihm die Versorgung, wenn er alt ist." 1883 kam das Krankenkassen¬
gesetz zustande, ein Jahr darauf das Uufallversicherungsgesetz. Einige
Jahre später wurden dem Reichstage die Grundzüge des Alters- und In-