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Heereszug gegen unser Vaterland ersonnen und ins Werk gesetzt
worden sei, und an die Nachbarschaft der Hauptstadt, in der unter
dem Drucke fremder Gewalt die Verträge geschlossen waren, in
deren unmittelbarer Folge das Reich zusammenbrach. Und dann
verlas er die Adresse selbst mit solcher Wärme, solchem Nachdruck,
daß allen Hörern die Tränen ins Auge traten. Am tiefsten bewegt
war der König. In beständigem Kampfe mit der Rührung, die
ihn mehr als einmal übermannte, las er die Antwortrede.
Am Schlusse sagte er: „Es wird Ihnen wie mir zur
Genugtuung gereichen, daß ich durch Seine Majestät den König
von Bayern die Nachricht erhalten habe, daß das Einverständnis
aller deutschen Fürsten und Freien Städte gesichert ist und
dessen amtliche Kundgebung bevorsteht.“
3. Am 14. Januar 1871 richtete der König ein Schreiben an
die deutschen Fürsten und Städte, in dem er sagte: „Ich nehme
die deutsche Kaiserkrone an, nicht im Sinne der Machtansprüche,
für deren Verwirklichung in den ruhmvollsten Zeiten unserer
Geschichte die Macht Deutschlands zum Schaden seiner inneren
Entwicklung eingesetzt wurde, sondern mit dem festen Vorsatze,
soweit Gott Gnade gibt, als deutscher Fürst der treue Schirmherr
aller Rechte zu sein und das Schwert Deutschlands zu dessen
Schutze zu führen.“
4. So kam der 18. Januar, der Tag der Kaiserfeier, heran,
die in dem prachtvollen Spiegelsaale des Palastes von Versailles
vor sich ging. Sie fand statt als ein Gottesdienst, bei dem eine
Versammlung von fünf- bis sechshundert Offizieren sich um den
König, die Fürsten und die Prinzen scharte, als eine andächtige große
Gemeinde. Der Gottesdienst begann mit dem Gesange des
66. Psalms („Jauchzet Gott, alle Lande!“), den der König selbst
für die Feier ausgewählt hatte. Der Soldaten⸗Sängerchor trug
ihn mit Kraft und Wohllaut vor; ihm folgte der gemeinsame
Gesang des Chorals: „Sei Lob und Ehr' dem höchsten Gut.“
5. Während des Gesanges stand der König, den Helm in der
Linken, in dem Halbrund gegenüber dem Altar, rechts der Kronprinz,
links Graf Bismarck, hinter ihm die Fürsten und Prinzen. Die
Blicke hatte er zu Boden gesenkt und schlug sie auch während der
ganzen folgenden Predigt nicht auf. Der Weihepredigt!) folgte
) Sie wurde von dem Divisionspfarrer der 1. Gardedivision, dem Hof⸗
prediger Bernhard Rogge, gehalten.