Full text: Klasse 5 (sechstes Schuljahr) (Teil 5, [Schülerband])

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16 Stunden, in denen ihnen oft das Holz zum Anzünden der Feuer, 
oder, hatten sie auch dies, die Kräfte, es zusammenzusuchen, fehlten; 
Häuser sah man gar nicht, weil sie auf dem Hinwege alles verwüstet 
hatten. Loderte endlich 'ein Feuer auf, dann bereiteten Offiziere und 
Soldaten ihr trauriges Mahl: blutige Fleischlappen von gefallenen 
Pferden, und nur sehr Wenige hatten einige Löffel voll Mehl, welches 
sie mit Schneewasser vermischt gierig verschluckten. Von jenem Tage 
an verfiel die Ordnung und Zucht des Heeres; nur wenige Regimen¬ 
ter blieben in Reihe und Glied, und wäre Kutusow thätiger gewesen, 
so hätte kein Mann entkommen können. Eine Menge Siegeszeichen 
aus Moskau, Kanonen und Wagen aller Art ließ man täglich zurück, 
um nur das Leben zu retten, und eine Hoffnung nur leuchtete den 
Ausgehungerten: Smolenk, wo man ihnen Lebensmittel aus den reichen 
Magazinen versprochen hatte. 
Endlich erblickten sie diese ersehnte Stadt, und die ganze Schaar 
der Waffenlosen, die den Bewaffneten voran liefen, stürzte auf die 
Thore zu. Aber die Soldaten, die hier die Wache hatten, und die 
herbeistürzenden Menschen mit von Erde und Rauch geschwärzten Ge¬ 
sichtern, hohlen Augen und Wangen, in abgerissenen Uniformen und 
andern wunderlichen Kleidungsstücken kaum für französische Krieger 
halten konnten, schlossen die Thore. Flehentlich baten die Armen, sie 
hineinzulassen, und ihren Hunger zu stillen; Viele sanken sogar todt 
zu Boden. Vergeblich! es wurden nicht eher die Thore geöffnet, bis 
die Garden anlangten. Diese, die überall den Vorzug hatten, erhielten 
Lebensmittel ausgetheilt, während die Andern abgewiesen wurden; denn 
es waren nur wenige Vorräthe vorhanden, und das Wenige wurde 
von Einigen, die jich kämpfend in die Magazine drängten, verschlun¬ 
gen, indem Andere leer ausgingen, sich verzweifelnd auf den Boden 
warfen, und erst wieder aufsprangen, als sie wegen Annäherung der 
Russen mit Gewalt weitergetrieben wurden. 
Am 14. November verließ Napoleon Smolensk mit seinen Gar¬ 
den. Diese marschirten noch in Reihe und Glied, aber finster und 
stumm; Jeder war allein mit seinem gegenwärtigen Unglücke und mit 
seinen Befürchtungen, wie das Alles noch enden würde, beschäftigt; 
von Tage zu Tage wurde das Elend größer, und die Zahl derer, die 
noch Waffen trugen, geringer. Von der ganzen Reiterei waren nur 
noch 800 ausgehungerte Pferde übrig, meist Offizieren gehörig, die nun 
in ein Corps vereinigt wurden. Mehrmals war das Heer, noch öfter 
waren einzelne Corps ganz von den Russen umringt und abgeschnit¬ 
ten, und wurden nur durch List oder durch die große Tapferkeit derer, 
die noch unter den Waffen waren, gerettet. Die gräßlichsten Scenen, 
die sich auf diesem trostlosen Rückzuge ereigneten, kamen in solcher 
Menge vor, daß nur wenige von der Geschichte aufgemerkt, aber keine
	        
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