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Verbrämung bedeckte sein Haupt. Ein Erzbischof saß zu seiner Rechten,
ein Bischof zu seiner Linken. Und hinter dem Bucintoro drein zogen
vergoldete Barken — mit dem päpstlichen Nuntius und den in Venedig
ansässigen Gesandten fremder Staaten — ihre Furchen durch die blaue
Flut. Ihnen folgten Gondeln mit Vertretern der höhern Staats¬
ämter, der vornehmen Geschlechter und der höhern Geistlichkeit. Überall,
wo der stattliche Zug sich zeigte, wurde er von Jubelrufen des Volkes
begrüßt, während Glockengeläute und Kanonendonner ihn begleiteten,
bis er das offene Meer erreicht hatte.
Als der Zug hier angekommen war, wurde das Meer vom Erz¬
bischof feierlich geweiht, und unter dem erneuten Läuten der Glocken
und den Gebeten der Geistlichkeit warf der Doge einen schweren
goldenen Ring in die Fluten, zum Zeichen, daß Venedig sich als
die Herrscherin des Meeres mit demselben vermähle.
Nachdem dies geschehen war, bewegte der Zug der Schiffe und
Gondeln sich nach der Kirche von San Nicolo am Lido, damit die
Vermählungsfeier auch der kirchlichen Weihe nicht entbehre. Man
zog in das Gotteshaus, und in diesem wurde nun eine heilige Messe
zelebriert, wie sie mit solcher Feierlichkeit nur einmal im Jahre statt¬
fand. Der Doge hielt dabei eine weiße Kerze in der Hand. Während
der heiligen Handlung bot man ihm das Evangelium zum Kusse dar,
und er reichte es dann weiter an die Gesandten.
Und wieder bestieg man danach die Barken und Gondeln, um
in die Stadt zurückzukehren. Hier wurde die eigenartige Feier mit
einem glänzenden Festmahle beschlossen, das in dem stattlichen Dogen¬
palast stattfand. Außer der hohen Geistlichkeit nahmen daran die
fremden Gesandten und die vornehmen Würdenträger Venedigs als
Gäste des Dogen teil, während das Volk sich inzwischen auf dem Mar¬
kusplatze vor dem Dvgenpalast belustigte, wo sich Schau- und Verkaufs¬
bude an Bude reihte, oder auf den Kanälen fröhlich umhertummelte.
Spät am Abend erst verhallte der Jubel des Volkes und endigte
das Fest von Venedigs Meereshochzeit.
160. Abendfeier in Venedig. von Emanuei Geibei.
1. Ave Maria! Meer und Himmel ruhn,
von allen Türmen hallt der Glocke Ton.
Ave Maria! Laßt vom ird’schen Tun,
zur Jungfrau betet, zu der Jungfrau Sohn!
Des Himmels Scharen selber knieen nun
mit Lilienstäben vor des Vaters Thron,
und durch die Rosenwolken wehn die Lieder
der sel’gen Geister feierlich hernieder.