Full text: Neueres deutsches Epos (Band 2)

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Den bei seiner Habe das ruhige Alter beschliche! 
Aber der Unglückseligste aller sterblichen Menschen 
Ist, wie man sagt, mein Vater; weil du mich darum befragest.“ 
Drauf antwortete Zeus' blauäugichte Tochter Athene: 
„Nun, so werden die Götter doch nicht den Namen des Hauses 
Tilgen, da solchen Sohn ihm Penelopeia geboren. 
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit: 
Was für ein Schmaus ist hier und Gesellschaft? Gibst du ein Gastmahl 
Oder ein Hochzeitfest? Denn keinem Gelag' ist es ähnlich. 
Dafür scheinen die Gäste mit zu unbändiger Frechheit 
Mir in dem Saale zu schwärmen. Ereifern müßte die Seele 
Jedes vernünftigen Manns, der solche Greuel mit ansäh'!“ 
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen: 
„Fremdling, weil du mich fragst und so genau dich erkundest: 
Ehmals konnte dies Haus vielleicht begütert und glänzend 
Heißen, da jener noch im Vaterlande verweilte; 
Aber nun haben es anders die grausamen Götter entschieden, 
Welche den herrlichen Mann vor allen Menschen verdunkelt. 
Ach, ich trauerte selbst um den Tod des Vaters nicht so sehr, 
Wär' er mit seinen Genossen im Lande der Troer gefallen 
Oder den Freunden im Arme, nachdem er den Krieg vollendet. 
Denn ein Denkmal hätt' ihm das Volk der Achäer errichtet, 
Und so wäre zugleich sein Sohn bei den Enkeln verherrlicht. 
Aber er ward unrühmlich ein Raub der wilden Harpyen, 
Weder gesehn noch gehört, verschwand er und ließ mir zum Erbteil 
Jammer und Weh. Doch jetzo bewein' ich nicht jenen allein mehr. 
Ach, es bereiteten mir die Götter noch andere Leiden. 
Alle Fürsten, so viel' in diesen Inseln gebieten, 
In Dulichion, Same, der waldbewachsnen Zakynthos, 
Ünd so viele hier in der felsichten Ithaka herrschen: 
Alle werben um meine Mutter und zehren das Gut auf. 
Aber die Mutter kann die aufgedrungne Vermählung 
Nicht ausschlagen und nicht vollziehn. Nun verprassen die Schwelger 
All mein Gut und werden in kurzem mich selber zerreißen.“ 
Und mit zürnendem Schmerz antwortete Pallas Athene: 
„Götter, wie sehr bedarfst du des lang abwesenden Vaters, 
Daß sein furchtbarer Arm die schamlosen Freier bestrafe! 
Wenn er doch jetzo käm' und vorn in der Pforte des Saales 
Stünde, mit Helm und Schild und zwoen Lanzen bewaffnet; 
So an Gestalt, wie ich ihn zum ersten Male gesehen, 
Da er, aus Ephyra kehrend von Ilos, Mermeros' Sohne, 
Sich in unserer Burg beim gastlichen Becher erquickte! 
Denn dorthin war Odysseus im schnellen Schiffe gesegelt, 
Menschentötende Säfte zu holen, damit er die Spitze 
Seiner gefiederten Pfeile vergiftete. Aber sie gab ihm 
Ilos nicht, denn er scheute den Zorn der unsterblichen Götter; 
Wer mein Vater gab ihm das Gift, weil er herzlich ihn liebte. 
Wenn doch in jener Gestalt Odysseus den Freiern erschiene! 
Bald wär' ihr Leben gekürzt und ihnen die Heirat verbittert! 
Aber dieses ruhet im Schoße der seligen Götter, 
Ob er zur Heimat kehrt und einst in diesem Palaste 
Rache vergilt oder nicht. Dir aber gebiet' ich zu trachten, 
Daß du der Freier Schar aus deinem Hause vertreibest. 
Lieber, wohlan! Merk' auf, und nimm dir die Rede zu Herzen: 
Fodere morgen zu Rat die Edelsten aller Achäer, 
Rede vor der Versammlung, und rufe die Götter zu Zeugen! 
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