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Orten, bei der schweigenden öde eurer Gefilde: Gebt sie mir wieder, die
traute Gattin; laßt sie frei und schenkt ihr das allzufrüh verblühte Leben
von neuem! Aber kann es nicht sein, so nehmet auch mich unter die
Toten auf! Nimmer kehr' ich ohne sie zurück.“ Also sang er und rührte mit
den Fingern die Saiten. Siehe, da horchten die blutlosen Schatten und
weinten. Der unselige Tantalus haschte nicht mehr nach den entschlüpfen—
den Wassern, Ixions sausendes Rad stand still, die Töchter des Danaus
ließen ab vom vergeblichen Mühen und lehnten horchend an der Urne,
Sisyphus selbst vergaß seiner Qual und setzte sich auf den tückischen Fels—
block, den sanften Klagetönen zu lauschen. Damals, so sagt man, rannen
selbst von den Wangen der furchtbaren Eumeniden Tränen hernieder, und
das düstere Herrscherpaar fühlte sich zum erstenmal von Mitleid bewegt.
Persephone rief den Schatten Eurydices, der unsicheren Schrittes herankam.
„Nimm sie mit dir,“ sprach die Totenkönigin; „aber wisse: nur wenn du
keinen Blick auf die Folgende wirfst, ehe du das Tor der Unterwelt durch—
schritten, nur dann gehört sie dir; doch schaust du dich zu frühe nach ihr
um, so wird dir die Gnade entzogen.“
Schweigend und schnellen Schrittes klommen nun die beiden den
finstern Weg empor, vom Grauen der Nacht umgeben. Da ward Orpheus
von unsäglicher Sehnsucht ergriffen; er lauschte, ob er nicht den Atemzug
der Geliebten oder das Rauschen ihres Gewandes hörte — aber still, toten—
still war alles um ihn her. Von Angst und Liebe überwältigt, seiner selbst
kaum mächtig, wagte er es, einen schnellen Blick rückwärts nach der Er—
sehnten zu werfen. O Jammer! da schwebt sie, das Auge traurig und
voll Zärtlichkeit auf ihn heftend, zurück in die schaurige Tiefe. Ver—
zweiflungsvoll streckt er die Arme nach der Entschwindenden. Ach, um—
sonst! zum zweitenmal stirbt sie den Tod, doch ohne Klage; hätte sie
klagen können, so innig geliebt zu sein? Schon ist sie fast seinen Blicken ent⸗
schwunden. „Leb' wohl, leb' wohl!“ so tönt es leise verhallend aus
der Ferne. Starr vor Gram und Entsetzen stand Orpheus zuerst, dann
stürzte er zurück in die finsteren Klüfte; aber jetzt wehrte ihm Charon und
weigerte sich, ihn über den schwarzen Styr zu fahren. Sieben Tage
und Nächte saß nun der Arme am Ufer, ohne Speise und Trank, zahllose
Tränen vergießend. Um Gnade fleht er die unterirdischen Götter; aber
diese sind unerbittlich; zum zweitenmal lassen sie sich nicht erweichen. So
kehrt er dann gramvoll auf die Oberwelt zurück in die einsamen Bergwälder
Thrakiens. Drei Jahre lang lebt er so dahin, allein, die Gesellschaft der
Menschen fliehend. Verhaßt ist ihm der Anblick der Frauen, denn ihn
umschwebt das liebliche Bild seiner Curydice; ihr gelten alle seine Seufzer
und Lieder, ihrem Andenken die süßen klagenden Töne, die er der Leier
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„Gustav Schwab.