Full text: [Band 1, [Schülerband]] (Band 1, [Schülerband])

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gerade und breit, oft abschüssig und krumm, winkelig und eng. 
Nirgends sehen wir ein gleichförmiges Einerlei, nirgends Regimenter 
von Häusern in gleicher Uniform, Höhe und Richtung. Schmale, 
alte Häuserchen mit vorspringenden Giebeln und Erkern lehnen sich 
nachbarlich vertraut an das Prachtgebäude des reichen Kaufmanns 
oder Fabrikherrn. Schön verzierte Fenster und Türen, geschnitzte 
Tragbalken, zierliche Erker und Säulen fesseln das Auge des Fremden 
bei jedem Tritte. Hier prangen Wappen in Stein oder Metall über 
den Toren, dort schauen alte Heiligenbilder aus ihren Nischen 
zwischen den Fenstern oder von ihren Postamenten (Traggestellen) 
an den Ecken hernieder in das Getriebe der Menschen. Und schweift 
der Blick weiter nach oben, so sehen wir mit Staunen die eigen¬ 
artigen, in Stufen hoch aufsteigenden Giebel, die wunderlichen Türm¬ 
chen mit oft seltsamen Wetterfahnen. Überall gibt sich an den alten 
Wohnungen der ehemaligen Reichsbürger eine gewisse Unregelmäßig¬ 
keit kund. Oft sind Fenster von dreierlei Größe an ein und demselben 
Hause, bald nahe bald fern voneinander stehend. Der Wille des 
Bauherrn war oberstes Gesetz. 
Die meisten dieser alten Nürnberger Häuser sind unten von 
Stein, in den obern Teilen aber Von Holz und Fachwerk erbaut; 
die zutage liegenden Balken sind kunstvoll geschnitzt und das Ganze 
ist sehr dauerhaft und stattlich. 
Durch ein Gewirre sich kreuzender und windender Straßen 
sind wir bis zum Markte gelangt, wo sich die Schönheit der alten 
Stadt besonders deutlich zeigt. Wir grüßen an der figurenreichen 
Marienkirche das liebliche Marienbild, wir warten auf das Männlein¬ 
laufen — beim Schlagen der Uhr schreiten die Kurfürsten huldigend 
am Kaiser vorbei — und stehen dann bewundernd still vor dem 
Schönen Brunnen. Es ist ein leicht und frei emporsteigender, zier¬ 
lich durchbrochener Turm von 18 m Höhe. Nicht weniger als 24 
kunstvoll aus Stein gehauene Standbilder von Herrschern, Helden 
und Propheten stehen in den Nischen dieses Wunderwerks der 
Bildnerei. 
Auf unserm Weitergange besuchen wir die herrlichen Kirchen 
von St. Lorenz und St. Sebald, beide reich an Kunstschätzen. An 
dem Sakramentshäuschen in der ersteren sind die Ranken und Zweige 
und Blumen aus Sandstein mit so wunderbar feiner, ganz unbegreif¬ 
lich scheinender Kunst gemeißelt, daß die Sage entstand, sein Meister 
Adam Krafft habe das Geheimnis besessen Stein weich zu machen 
und in Formen zu gießen. In St. Sebald befindet sich das prächtige 
Grabmal dieses Heiligen, an dem der Rotgießer Peter Vischer mit 
seinen 5 Söhnen volle 13 Jahre lang arbeitete. An der Außenseite 
der Kirche hängt eines der ältesten Werke des Nürnberger Erzgusses, 
ein 18 Zentner schweres, von Zeit und Wetter geschwärztes, angeblich 
silbernes Kruzifix. Nach der Sage habe der Nürnberger Rat in 
schweren Kriegszeiten das Ganze schwarz übermalen lassen, damit
	        
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