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14. Altdeutsche Kampfspiele. 
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schwangen sich mit kurzem Anlauf hinüber; fast allen glückte der 
Sprung, aber bei drei Rossen gelang es nur einer kleinen Zahl, 
und über vier sprang Theodulf allein, und als er hinter den 
Rossen zum Haufen der andern zurücktrat, sah er herausfordernd 
den Fremden an und winkte mit der Hand zur Folge. Der 
Fremde neigte das Haupt ein wenig und that denselben Sprung 
so sicher, daß das Feld vom Beifall wiederhallte. Da rief Theo¬ 
dulf das fünfte Roß heran zum schweren Sprung, nur selten 
vollbrachte ihn einer der Behendesten. Aber der Thüring war 
gereizt und entschlossen das Äußerste zu thun. Er selbst ordnete 
die Pferde anders, daß der Schimmel als fünfter stand, dann 
sah er sich um, empfing den Zuruf seiner Freunde und wagte 
den mächtigen Sprung.' Und er kam hinüber, nur daß er beim 
Niedertauchen mit seinem Rücken den Schimmel streifte. Aber 
während er vortrat und sich über das Jauchzen des Volkes freute, 
tönte noch lauterer Zuruf hinter ihm, und umgewandt sah er 
den Fremden, der diesmal schnell und mühelos in seinem Rücken 
den Sprung vollbrachte. Der Thüring erblich vor Zorn, er 
ging schweigend an seinen Platz und mühte sich vergebens seinen 
Neid herabzudrücken, der ihm aus den Augen brach. Die Alten 
aber traten zu dem Fremden und rühmten seine Kunst, und der 
alte Häuptling begann: „Ich erkenne, Fremder, wenn mich nicht 
deine Gebärde täuscht, du bist nicht unkundig des Schwunges 
auch über sechs Rosse, den sie Königssprung nennen, und der 
nicht in jedem Menschenalter einem Helden gelingt. Ich sah ihn 
einmal, da ich jung war, mein Volk niemals." Und er rief laut: 
„Führt das sechste Roß heran!" Da erhob sich im Kreise Ge¬ 
murmel, und die Entfernten drängten näher herzu, während die 
Jünglinge eilten, das Roß zu stellen. Neben Ingo aber trat 
die Fürstin, sie war bekümmert um die Niederlage ihres Ver¬ 
wandten und sprach leise zu dem Gaste: „Erwäge, Held, leicht 
trifft der Pfeil des Jägers den Auerhahn, wenn er, die Flügel 
breitend, seine Stimme erhebt!" Aber Ingo sah auf Irmgard, 
welche in froher Erwartung hinter der Mutter stand und ihn 
freundlich anlachte, und er antwortete mit heißen Wangen: „Zürne 
mir nicht, Herrin, ich bin gefordert, nicht habe ich mich in den 
Kampf gedrängt; ungern entsagt der Mann der gebotenen Ehre." 
Er trat rückwärts zum Sprunge, hob sich gewaltig in die Luft 
und vollbrachte den Schwung, daß alles Volk jauchzte, und da 
er zurückkam, achtete er nicht auf die unwillige Miene der Fürstin; 
er freute sich, daß ihm die Kunst gelungen' war, und daß Irm¬ 
gards Angesicht rosig erglänzte. Lange wogten die Zuschauer 
durch einander, sprachen über die Kühnheit des Fremdlings und 
rühmten ihn, bis dem Wettkampfe der Männer andere Ziele ge¬ 
setzt wurden. Ingo stand fortan still neben den Häuptlingen, 
und niemand forderte ihn zu neuem Streite. —
	        
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