Full text: Für Quarta und Untertertia (Abteilung 2, [Schülerband])

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71. Altdeutsche Kanrpsspiele. 
Gustav Frehtag, Die Ahnen, I, Ingo und Jngraban, Leipzig (Hirzcl)-", 1893, S. 35. 
1. Ungeduldig rüsteten die jungen Thüringe auf dem Rasengrund 
vor dem Hofe des Fürsten die Bahn zu kriegerischem Spiel. Die 
Knaben des Dorfes begannen den Kampf, damit auch sie das Lob 
der Krieger erwürben; sie rannten nach dem Ziel, sprangen über 
ein Roß und schossen mit dem Rohrpfeil nach der Stange. Bald 
aber ergriff der Eifer die Jünglinge; sie warfen Speere, sie schleu¬ 
derten den schweren Felsstein und sprangen ihm nach, und als 
Theodulf, ein stolzer Mann aus der Sippe der Fürstin, in mäch¬ 
tigem Schwünge den schwersten Stein geworfen und den weitesten 
Sprung getan, klafterweit über die andern hinaus, da erscholl 
lautes Jauchzen bis zur Halle. Und die Alten und Weisen des 
Volkes behielt es nicht langer auf ihren Sitzen; auch sie eilten 
zur Schau auf den Rasen. Groß wurde der Ring der Zuschauer; 
die Weiber des Dorfes standen in ihrem Festschmuck, gesondert die 
Männer, und im Umkreis klang immer lauter der Zuruf und das 
Lob der Sieger. 
2. Unterden Schauenden stand Ingo, derFremdling, und achtele 
schweigend auf die behende Kraft. Da trat zu ihm Jsanbart, ein alter 
Häuptling des Gaues, betrachtete ihn prüfend und begann feierlich, 
so daß die Rede der andern verstummte: „Auch in deinem Volke, 
Fremdling, woher du auch stammst, übt sich wohl der junge Krieger 
im Sprung und in den Waffen. An deinem Auge und Arni sehe ich, 
daß du des Spiels nicht ganz unkundig bist; vielleicht gefällt dir's, 
unsern jungen Männern zu zeigen, was in deiner Heimat Brauch 
ist, wenn du auch nicht die Kunst eines Häuptlings verstehst. Bist 
du aus dem Ostlande, wie ich vernehme, so vermagst du wenigstens 
die Hvlzkeule zu schwingen; auch dieser Wurf erweist die Kraft 
des Mannes, obgleich meine Landgenossen ihn wenig üben. In 
der Halle sah ich über dem Sitz des Wirtes ein solches Holz." 
Ingo antwortete dem ehrbaren Greise: „Wenn mir's der Fürst 
gestattet und die Häupter des Volkes, so will ich versuchen, was 
ich ehedem gelernt." 
3. Der Fürst winkte, einer aus dem Gefolge sprang nach 
dem Hof und trug eine Waffe aus Eichenholz herzu, vom Griffe 
nach rückwärts gekrümmt, vorn mit scharfer Schneide. Die Keule 
ging von Hand zu Hand; lachend wogen die Männer das leichte 
Werkzeug. „Eine Waffe dieser ähnlich trägt unser Sauhirt, um 
Wölfe zu schlagen," rief Theodulf verächtlich; aber Jsanbart, der 
Greis, entgegnete strafend: „Du sprichst töricht; ich sah von solchem
	        
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