Full text: (Prosa) (Teil 7 - 9 in 1 Bande, [Schülerband])

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lieferte dem Osten Kolonisten und rückte gleichzeitig vom Reiche ab. 
Deutschland wich fast gleichzeitig von den Alpen und der Nordsee zurück, 
d. h. von natürlichen Grenzen und verheißungsvollen Pforten, und suchte 
in den grenzenlosen und in der Kultur tiefstehenden Osten hinein¬ 
zuwachsen. 
Man bedenke, daß bei gewaltigen Raumansprüchen der für das 
römische Reich deutscher Nation hochwichtige Verkehr über die Alpen 
fünfzehnhundert Jahre lang auf die alten Römerstraßen angewiesen 
war! Deutschland selbst ist ein wegarmes Land bis in den Beginn des 
19. Jahrhunderts gewesen. Und deshalb hat niemals eine geschlossene 
Geschichte den ganzen Raum des Reichs ausgefüllt. Norddeutschland 
ist manchem deutschen Kaiser ein fremdes Land gewesen. Deutschland 
hat überhaupt seine alpinen und transalpinen, burgundischen und danu- 
bischen Interessen mit denen des Tieflands und den maritimen immer 
nur vorübergehend vereinigen können. Und darin besonders liegt ein 
Hauptgrund des Auseinanderfallens Nord- und Süddeutschlands. Hie 
Süddeutschland, Alpen und Mittelmeer, hie Norddeutschland, Ostsee- 
länder und Ozean! In einer Zeit der Raumschwierigkeiten bedeutete 
es Auseinanderzerrung bis zur Zerreißung oder mindestens Entfremdung, 
wenn die politischen und wirtschaftlichen Zielpunkte der einen Reichs- 
Hälfte nicht bloß am Meer, sondern weit über dem Meer lagen. Die 
Hanseangelegenheiten konnten damals nicht Reichsangelegenheiten für 
Kaiser sein, deren Horizont den Oberrhein mit dem Rhoneland und 
Oberitalien verband. Gegen Friedrich Barbarossa konnte sich Nord¬ 
westdeutschland mit Flandern, England und Dänemark verbünden. Die 
auffallende Nordwestlücke in der heutigen politischen Gestalt Deutsch¬ 
lands ist alten Ursprungs; als das Mittelmeer und die Nordsee auf¬ 
hörten, zwei Verkehrsgebiete zu sein, die nichts voneinander wußten, 
war das Rheinmündungsland längst auf dem Wege, ein selbständiger 
Staat zu werden. Wenn nicht die raummächtigste Organisation dieser 
Zeit, die Kirche selbst, das deutsche Ordensland in Preußen mit dem 
Reich verbunden hätte, wie fern und fremd wäre auch dieses geblieben! 
Es bewahrte sich ohnehin fast die volle Selbständigkeit, mit der die 
norddeutschen Länder zu Rudolfs von Habsburg Zeiten dem allein 
kaiserlichen Südwesten wie peripherische, fremd gewordne Glieder gegen¬ 
überlagen. 
Der Unterschied der Lage zwischen dem Norden und dem Süden 
unsers Landes wirkte aber noch weiter. Der Norden stellte in Deutsch-
	        
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