Full text: Deutsches Lesebuch für Tertia (Teil 4, [Schülerband])

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III. Geschichtliche Darstellungen. 
Das äußere Bild der Städte änderte sich in der Zeit vom 13. 
bis zum 15. Jahrhundert wenig, nur daß die Fortschritte des Geschütz¬ 
wesens eine stärkere und kunstreichere Befestigung notwendig machten. 
Die Stadt umzieht ein Graben, dessen Zugänge durch Türme und 
Warten verteidigt werden. Dahinter erhebt sich Wall und Ringmauer, 
von runden und eckigen Türmen überragt. Aus der Mauer springen 
Erker hervor nach dem Stadtgraben, damit man die Angriffe der 
Feinde leichter abzuwehren vermag. Doppelt sind alle größeren Thore; 
um das Anßenthor steht ein festes Werk, ein dicker Turm, um die 
über den Stadtgraben führende Brücke zu verteidigen. 
Da die Städte vor allem Sicherheit und Schutz gewähren sollen, 
so sind die Häuser ziemlich gedrängt, die Straßen eng, von plan¬ 
mäßiger Bebauung ist nicht die Rede. Die Häuser stehen mit dein 
Giebel nach der Straße, die Thüren sind häufig in der Mitte ihrer 
Höhe in zwei Hälften geteilt, über ihnen hängt das auf ein Schild 
gemalte Zeichen des Hauses, nach dem auch oft der Besitzer benannt 
wird. Ein kerniger Spruch, auf die Wand geschrieben, redet zu dem 
Eintretenden von dem frommen, biederen Sinne des Bewohners. 
Die Hauslinie läuft nicht glatt unb senkrecht, ein Oberstock oder zwei 
— die Gadem — springen über das untere Stockwerk vor, der zweite 
wieder über den ersten, und darin sind wieder Erker und Söller. So 
wird Luft und Licht in den Gassen beschränkt. In den Städten der 
Niedersachsen, Thüringer und Franken ist alter Brauch, daß die 
Straßenwand der vorgerückten, oberen Stockwerke durch Pfeiler gestützt 
wird; so entsteht ein gedeckter Gang, die Löbe oder Laube, der am 
Markte und an Hauptstraßen geschützten Durchgang gestattet. 
Wie reich sich auch in dieser Zeit das Leben der Stadt entfaltet, 
das Privatleben und Behagen des einzelnen tritt auch im Häuserbau 
auffallend zurück vor den Arbeiten der Genreinde. Zwischen Stroh- 
dächernr und Bauten von Fachwerk erheben sich prächtige Rathäuser 
und großartige Kirchen, riesige, kunstvolle Bauten, in denen die 
Bürgerschaft mit Stolz zeigt, was Geld und Arbeit in ihr vermag. 
Unter den sächsischen, fränkischen und hohenstaufischen Kaisern sind die 
prächtigen Kirchen mit edlen Kuppeln, starken Säulenreihen und hohem 
Mittelschiff aufgerichtet worden. Jetzt aber baut nach verändertem 
Geschniack die Stadt ihren Dom mit Strebepfeilern und ungeheuren 
Fenstern, die durch Glasgemälde geschlossen werden, mit hohen Spitz¬ 
türmen, deren kunstvolle Gliederung und durchbrochene Steinmetzarbeit 
über alle anderen Türme gegen die Wolken ragen soll. Es ist ein 
riesiges Werk, berechnet auf die frommen Beiträge vieler Geschlechter. 
Der Meister, welcher den Plan gezeichnet, lebt nicht mehr, aber die 
Bauhütte, mit der er gearbeitet, pocht und meißelt unermüdlich. Wer 
weiß, ob die Enkel die Vollendung schauen werden, denn das Leben
	        
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