Volltext: Für Klasse 2 (neuntes Schuljahr) und die Obertertia der Studienanstalten (Teil 8, [Schülerband])

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durch einen ungesühnten Geist entgegensehen. Die Furcht des Ur¬ 
menschen lastete in solchen Fällen auf den Gemütern der Hellenen; es 
ist bekannt, mit welchem Auswande und welcher Sorgfalt sie daran¬ 
gingen, allen Gefallenen die Sühne zu schaffen, die dem daheim Ge¬ 
storbenen auf jener Stufe der Kulturentwicklung durch die letzten Ehren 
zuteil wurde. Zu diesen Vorsichtsmaßregeln gehörte es auch, daß man 
nach Weisung des delphischen Priesterstuhles beschloß, alle Feuer im 
ganzen Lande zu löschen und durch neues Feuer zu ersetzen. Aber wieder 
erwachte in einem so außerordentlichen Falle die alte Sitte: nicht er¬ 
zeugt, sondern geholt sollte das neue Feuer werden. Während sich 
die griechischen Führer über das Land verteilten, um alle Bewohner 
zum Erlöschen ihrer Herdfeuer zu zwingen, eilte der Platäer Euchidas 
so schnell als möglich nach Delphi und von da mit dem Feuerbrande 
unter übermenschlicher Anstrengung nach Platää zurück, wo er ihn eben 
noch übergeben konnte, ehe er zu Tode erschöpft zusammenstürzte. 
Ein spartanischer Kriegszug erinnert uns in dieser Hinsicht einiger¬ 
maßen an den Iagdauszug des Indianers älterer Zeit und an die 
Wanderungen der Australier mit dem einhergetragenen Feuerbrande. 
Zog der Spartanerkönig mit seinem Heere ins Feld, so begleitete ihn 
ein eigener „Feuerträger" — Tivg^ogog— mit glimmendem Feuer, von 
welchem heimatlichen Elemente allein während des ganzen Feldzuges 
Gebrauch gemacht werden sollte. Da man dazu einen Priester 
wählte, dürfte dieser meistens in den Kämpfen der Griechen unterein¬ 
ander eine Art völkerrechtlicher Anerkennung genossen haben. Nach 
einer bei Herodot gebrauchten Redensart, durch welche die Perser die 
völlige Vernichtung der Griechen bezeichnen wollten, indem sie sagten, 
es sollte ihnen aber „auch nicht ein Feuerträger durch die Flucht ent¬ 
kommen", muß man schließen, daß das Mitnehmen des Feuers bei 
Heereszügen ehedem unter den Griechen allgemein gewesen sei. 
Dasselbe war der Brauch bei den Persern, und es kam wohl bei 
ihnen zu dem allgemein geltenden Motive nur noch ein besonderes 
hinzu, wenn diese in der Feuerflamme selbst den Fetisch ihrer Gottheit 
verehrten. Die persischen Könige benutzten dazu silberne Gefäße, und 
ihre Magier erhielten die Tradition, daß das von ihnen in ewiger 
Kontinuität bewachte Feuer ursprünglich von dem vom Himmel herab- 
gekommenen gewonnen sei. 
Aber auch ohne eine so enge Verbindung des Geistes mit der 
Flamme bewahrten die verwandten Germanen auf ihren weiten Zügen
	        
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