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Sechs Personen, drei Brüder und drei Witwen des Verstorbenen, seien des
Mordes beschuldigt und hätten sich deshalb vor der Volksversammlung zu
rechtfertigen. Darauf folgte wieder ein halbstündiges Schießen, die Menge
lärmte und johlte. Die Räte des Volkes senkten die grauen Häupter. Die
ganze Stadt war in Pulverdampf eingehüllt, und erst die einbrechende Nacht
löste die Versammlung auf.
Am nächsten Tage kam das Volk von neuem zusammen, und abermals
trat ein Redner auf, der Verteidiger der sechs Angeklagten. Er tat sein
Bestes, um sie zu entlasten und den Verdacht auf andere zu lenken, aber sie
waren im geheimen schon gezeichnet und geächtet. Bedächtig gingen die
Alten, die des Richteramts walteten, zur Seite und berieten im schattigen
Bananenhain über die Schuldfrage und das Maß der Strafe. Durch ihren
Sprecher wurde das Urteil verkündigt. Es lautete: Zwei der Beschuldigten
seien freigesprochen worden; die übrigen vier hätten sich je um den Preis
eines Weibes loszukaufen. An keinem sollte die Todesstrafe vollzogen werden.
Dieser Entscheid, wonach kein Menschenopfer dargebracht werden sollte,
war unstreitig dem Einfluß der Mission zuzuschreiben. Zwar übte sie noch
keine bestimmende Macht auf das Volksleben aus, dazu war sie noch zu
jung, aber eine leise Einwirkung zur Anbahnung einer neuen Zeit war doch
zu bemerken. Die Greuel des Heidentums können sich nur halten, solange das
Dunkel der heidnischen Macht über dem Volke lagert. Vor den hereinfallen—
den Strahlen des Evangeliums weicht eine blutige Volkssitte nach der anderen.
Doch was der Rat der Alten in diesem Falle im Gegensatz zur bisher
üblichen Volkssitte beschlossen hatte, das fand doch nicht allgemeine Billigung.
Die Söhne des verstorbenen Oberhäuptlings gaben sich damit nicht zufrieden.
Gebieterisch verlangten sie ein blutiges Opfer. Andererseits erklärten sich
die Freunde der Verurteilten bereit, die geforderte Sühne zu zahlen. Tage⸗
lang schwankte das Endergebnis zwischen den beiden Parteien. Aber es
neigte sich schließlich doch auf die Seite der rachedürstigen Häuptlingspartei.
Wieder legten die Missionare ernstliche Fürsprache für das Leben der Ver—
urteilten ein; aber man äußerte es ohne Scheu, daß wohl vier Weiber
würden mit dem Tode büßen müssen. Schließlich erschienen ein Sohn des
Verstorbenen und ein Häuptling auf dem Missionshügel und stellten den
Missionaren vor, man sollte sie wenigstens eine Frau töten lassen. Es war
dies offenbar nur eine Art von Entschuldigung, denn das Urteil war trotz
des Einspruchs der Missionare schon gefällt. In aller Stille wurde eine
Frau ertränkt und einem Manne der Hals abgeschnitten. Beide unschuldigen
Opfer des heidnischen Wahns wurden nebeneinander beerdigt. Ohne die
Fürsprache der Missionare wären, wie die Heiden selbst bezeugten, mindestens
zehn Personen hingemordet worden. Aus „Pionierarbeit im südlichen Kamerun⸗
Sammlung kolonialer Lesestücke).
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