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Kopf ab und verschluckt sie dann. Auch Ratten sind für seinen Appetit
nicht zu groß.
Hübsch ist es, zu beobachten, wie die Jungen das Fliegen allmählich
lernen. Zuerst springen sie im Neste stehend empor, täglich höher, und
breiten dabei die Flügel aus. Befindet sich das Nest auf einem Dache,
so werden die ersten Studien auf der Dachfirst gemacht, auf der die
jungen Störche wie der Seiltänzer auf seinem Seile hin und her gehen
und mit den Flügeln das Gleichgewicht halten. Endlich fassen sie ein
Herz, verlassen die feste Stütze und fliegen im Kreise um ihre Wohnung,
anfangs nicht weit, dann aber in immer weiteren Kreisen, immer höher
in die Luft. Schwer aber wird es ihnen, dann mit ihren langen Beinen
wieder auf das Nest zu gelangen; gar oft verfehlen sie es und können
selbst auf die Erde fallen; doch das entmutigt sie nicht. Sie erheben
sich wieder und ruhen und rasten nicht, bis sie ihre Aufgabe gelernt
haben. Sind sie aber Meister geworden, dann ist auch die Zeit der
großen Herbstwanderung gekommen. Noch sind die Schnäbel und Beine
der Jungen schwarz oder doch dunkel und nicht rot, noch können sie nicht
klappern, so müssen sie schon auf die Wanderschaft. Vor der weiten
Reise halten sie Beratungen in großen Volksversammlungen; dann aber
trennen sie sich wieder und begeben sich still und heimlich auf den Weg.
Wer hat schon die Störche in solchen Scharen über unsere Gegenden
ziehen sehen, wie diese bei Kranichen, Schneegänsen und manchen andern
Zugvögeln so leicht beobachtet werden? Und wie sie unbemerkt abziehen,
so kommen sie auch einzeln wieder zum Nest zurück, in Scharen sieht
man sie bei uns nie ankommen.
Warum aber verläßt uns der Storch so früh, schon im August, wenn
er noch reichlich Frösche und anderes Futter finden kann? „Ein Storch
unter dem Himmel weiß seine Zeit,“ sagt der Prophet Jeremia; er weiß,
wann er in seiner zweiten Heimat, in Ägypten, recht kommt zu den
Überschwemmungen, welche der durch heftigen Regen angeschwollene Nil
verursacht. Da findet er reichliche Nahrung. Dort brütet er nicht, dort
jagt er nur und lebt herrlich und in Freuden, während es bei uns schneit
und friert. Der Storch kennt aber auch seine Zeit, wenn es dort trocken
und die Nahrung für ihn knapp wird. Er kommt zu uns zurück, und
trifft er auch hier noch Schnee, leidet er auch noch kurze Zeit Not, so weiß
er doch, daß der Frühling kommt, den er ankündigt. O. Buchner.
154. Storch und Mũdchen.
1. „Kaum wird es kalt, so ziehst du fort
Herr Storch, mit deinen Kindern
Könnt ich wie du von Ort zu Ort,
Möcht' auch nicht überwintern.““