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Mit dem Maßstabe moderner nationaler Ideen darf man
diesen Na poleonkult nicht messen. Von einem Natio¬
nalbewußtsein konnte zu damaliger Zeit nicht die Rede sein.
Das Weltbürgertum des Klassizismus herrschte. Die Roman¬
tik sollte erst das Nationalbewußtsein wecken. Das aber
war damals noch nicht geschehen. Daher ist es auch un¬
recht, den breiten Massen des rheinischen Volkes einen Vor¬
wurf daraus zu machen, daß sie der Napoleonszauber ge¬
fangen hielt. Sie verdankten eben dem Korsen viel: er be¬
endete die Schreckenszeit der Republik, ohne die alten Zu¬
stände der Kleinstaaterei wieder zurückzuführen, er sicherte
dem Volke die Gleichheit, er brachte die Freiheit des reli¬
giösen Bekenntnisses, ihm dankte es ein gemeinsames Recht
und Teilnahme an Rechtsprechung und Verwaltung.
Neben der Franzosenfreundlichkeit und der Napoleons¬
verehrung, die weite Kreise der rheinischen Bevölkerung be¬
herrschte, darf auch die Kehrseite nicht unbeachtet bleiben.
Von Anfang der französischen Herrschaft ab gab es in den
breitesten Massen des Volkes eine mächtige Gegen¬
strömung gegen die Franzosen, die ihre Haupt¬
ursache in der Anhänglichkeit an den alten Herrschaften,
an der geschichtlichen deutschen Vergangenheit hatte. Aus
allen Teilen des Rheinlandes, aus dem Trierischen, dem Cöl-
nischen, aus Jülich-Berg und aus den früheren preußischen
Teilen haben wir zahlreiche Beweise dafür.
Wenn auch im allgemeinen das rheinische Wirt¬
schaftsleben unter der französischen Herrschaft stark
zurückging, so schließt das nicht aus, daß die französische
Zeit in mancher Beziehung auf das Wirtschaftsleben be¬
fruchtend einwirkte. Am 12. Dezember 1808 wurde die
Leibeigenschaft im Rheinlande aufgehoben, und der
11. Januar 1809 brachte die Beseitigung des Lehns¬
wesens. Auch die sogenannten Stockgüter, die
Bauernmajorate, wurden aufgehoben. Die französischen
Gesetze geboten die gleiche Teilung des elterlichen Erbes
unter die Kinder, In den ruhigeren Zeiten widmete die Re¬
gierung der Hebung des Ackerbaues und der Vieh¬
zucht, des Obst- und Weinbaues, sowie der Forst¬
wirtschaft besondere Sorgfalt,
Der Förderung des V erkehrs dienten zahlreiche von
Napoleon neu angelegte oder verbesserte Straßen, wenn
diese auch an erster Stelle Militärstraßen waren. Als einige