Full text: Charakterbilder deutschen Landes und Lebens für Schule und Haus (Theil 3)

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seits die gebildeten Klassen sich mehr und mehr davon zurückziehen 
und es anderseits ein offenes Geheimniß ist, daß gewisse Leute ihn bloß 
als Erwerbsquelle benutzen. 
Merkwürdig ist es, daß beim Karneval fast nie eine ernste Prü- 
gelei entsteht, es nimmt Niemand etwas übel, und das Volk hält bei all' 
dieser grenzenlosen Unordnung doch auch wieder die beste Ordnung. 
Ich habe mich oft bemüht, ein ernstes Gesicht in diesen Straßen aufzu¬ 
finden, aber es ist mir nie gelungen, ich sah nur Lachende, und selbst 
die Gesichter der bärtigen Gensd'armen waren freundlich. 
Mit dem Tageslichte schwindet auch das Gedränge, um auf den zahl- 
reichen Maskenbällen von Neuem anzufangen. Montag auf dem Saale 
Gürzenich, Dienstag im Theater sind die Hauptbälle. Sie beginnen 
nach 9 Uhr Abends, und auch hier bewegt sich Hoch und Niedrig im 
bunten Gemisch durch einander. Ein - bis zweitausend Masken (besonders 
Domino's) und Nichtmasken bilden ein dichtes Gewühl, auch hier lacht, 
singt und springt Jeder, wie er will. Wird man vom Nachbar zur 
Rechten gestoßen, so stößt man den zur Linken, so geht's weiter, und je 
besser man stößt, desto mehr wird gelacht. Getanzt wird vor Mitternacht 
wenig und die Tanzenden gehören nicht zur besten Sorte, man tanzt in 
mehreren Kreisen zu gleicher Zeit; wo sich eine Lücke zeigt, da dreht sich 
ein Paar, stößt sich einen Kreis zurecht, Andere folgen, bis der Kreis 
von der Menge überfluthet wird; daß hier keine Etiquette gilt, versteht 
sich von selbst, der Bauer erscheint im Kittel, der Herr wie er will, die 
Hüte behält man auf dem Kopfe, nur geraucht wird nicht. Erst der 
helle Morgen treibt die Letzten nach Hause. 
Am Aschermittwoch hat Alles ein Ende, und die strenge Fastenzeit, 
in der das gesellige Leben stockt, gibt Gelegenheit, über die vertaumelten 
Tage nachzusinnen. Während des Festes hat fast Niemand gearbeitet, aber 
gegessen und getrunken so viel als möglich und mehr; in gleichem Maaße, 
wie sich die Taschen leeren, füllen sich die Leihhäuser und Trödelbuden, 
und so erscheint der Karneval als ein Fest, das für bessere Zeiten bestimmt 0 
ist, für Zeiten, wo Jedermann wenigstens einmal die Woche ein Huhn 
im Topfe hat 
5. Wanderungen durch die Hauptorte des Bergischen 
Fabriklandes. *) 
1. 
Ein glänzendes Beispiel von hoch entwickelter Industrie im deutschen 
Vaterlande, bietet das Vergische Land im Flußgebiet der Mittlern Wupper 
mit seinen langgestreckten Höhenzügen und tief eingeschnittenen, Wasser¬ 
*) Vom Lehrer Voßnack in Remscheid.
	        
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