836 Die Zeit der falschen Aufklärung und der gewaltthätigen Staatskunst.
der Schande erstiegen König und Hof und Land, als eine Frau, die
nachherige Marquise von Pompadour, die ihren Mann verlassen und sich
dem Könige zu lasterhaftem Umgänge angeboten, durch ihre schändliche
Stellung Gebieterin des Landes wurde, indem ihre Gunst und Ungunst
Aemter gab und nahm. Da der Einfluß, den sie zur Aufhäufung von
Neichthum und Pracht benutzte, von ihrer Unentbehrlichkeit abhing, war
es ihr Geschäft, dem Könige Werkzeuge der Lust herbeizuschaffen, und so
strömte sie das Gift sittlichen Verderbens weit umher in das Land.
Nach ihrem Tode nahmen Geschöpfe von gleicher Nichtswürdigkeit ihre
Stelle ein. Der offene Hohn, der so aller Tugend, aller Sitte, aller
Religion geboten war, wirkte ansteckend auf den einen Theil der Be¬
völkerung, besonders auf die höheren Stände, und erfüllte den andern
Theil mit Verachtung und, da das Land die Kosten der Ausschweifungen
tragen mußte, mit Ingrimm gegen den König und alle diejenigen, die
an der Regierung Antheil hatten.
7. Die Reihe der gegen den Besitzstand gerichteten Umwälzungen
begann, als mit Kaiser Karl VI. im Jahre 1740 das Haus Habs¬
burg in männlicher Linie erloschen war. Eine treulose Staatskunst un¬
ternahm , ungeachtet der verstorbene Kaiser seiner Tochter in vielseiti¬
gen Zusagen Sicherheit verschafft zu haben glaubte, die Zertrümmerung
der östreichischen Monarchie, die so lange Zeit allein das Bollwerk der
Christenheit gegen die Ungläubigen gewesen war, die allein dem deut¬
schen Reiche noch Stärke geben konnte. Kaum war der Kaiser gestor¬
ben, so trat gegen seine Tochter, die unter dem Titel einer Königin
von Böhmen und Ungarn die Regierung übernommen hatte, der Kur¬
fürst Karl Albert von Baiern mit dem Ansprüche auf die Monarchie
hervor. Hatte auch seine Gemahlin, die sogar die jüngere von Josephs I.
Töchtern war, auf die Erbfolge in Oestreich verzichtet, so suchte er, der
die Anerkennung der pragmatischen Sanction verweigert hatte, ein Recht
darauf zu gründen, daß er ein Abkömmling einer Tochter des Kaisers
Ferdinand I. sei, die mit Herzog Albert V., dem Großvater des Kur¬
fürsten Marimilian, vermählt gewesen. Vermöge seiner Herkunft be¬
hauptete er deswegen, der rechtmäßige Nachfolger Karls VI. zu sein,
weil Ferdinand I. eine Erbfolgeordnung aufgestellt, kraft welcher nach
Aussterbeu der männlichen Linie des Hauses Habsburg die Nachkommen
jener seiner Tochter zu folgen hätten. Obgleich er nun aber überführt
wurde, daß jene Anordnung Ferdinands erst für das Aussterben der
gesammten ehelichen Nachkommen seiner Söhne die Nachkommen seiner
Tochter zur Nachfolge in Böhmen und Ungarn berufe, so war er doch
nicht zum Aufgeben seines Vorhabens zu bewegen. Ebenso unredlich
war das Verfahren Spaniens, das seine Anerkennung der pragmatischen
Sanction geradezu widerrief, weil dieselbe den auf Verwandtschaft ge-