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Karl der Große,
feiertage im Jahre 800*) war er in der Peterskirche in Rom. Als er
in festlichem Schmuck am Altäre niederkniete, um, wie er gewohnt war,
seine Andacht zu verrichten, trat plötzlich der Papst an ihn heran und
setzte ihm eine goldene Krone auf sein Haupt. In demselben Augen¬
blicke rief das Volk, welches zugegen war, mit lauter Stimme: ,.Karl,
dem von Gott gekrönten großen und friedebringenden Kaiser der Römer,
Leben und Sieg!" So ward Karl der Frankenkönig zum Römischen
Kaiser gekrönt. Mit der Absetzung des Romulus Augustulus (476
nach Ehr.) war die römische Kaiser-Würde erloschen; doch hatte sich
unter den Völkern noch immer, wenn auch nur als trübe Sage, das
Andenken an die einst weit herrschenden Kaiser Roms erhalten. Alle
Pracht und Majestät, die man mit dieser Würde verbunden dachte,
ging nun auf den Fürsten über, dessen Haupt die Kaiserkrone schmückte.
Ausgerüstet mit solchem Ansehn konnte Karl noch kräftiger wirken,
als bisher. Ungebührliche Macht der Gewalthaber in seinem Reiche
wußte er jederzeit zu brechen. Wenn er einen Befehl an einen über-
müthigen Großen mit dem Petschaft, das an seinem Degengriff einge¬
graben war, unterzeichnet hatte, pflegte er wol zu sagen: Muer ist der
Befehl, und hier (indem er auf das erhobene Schwert hinwies) ist,
was ihm Gehorsam schaffen soll." Ec hatte aber auch schon ander¬
weitig Anstalten getroffen, die Mächtigeren in den Schranken zu halten.
Darum hatte er die herzogliche Gewalt abgeschafft; denn die Herzoge
hatten zu viel Macht und konnten dem Kaiser, wenn sie dieselbe gegen
ihn wendeten, einen schweren Stand bereiten. Sicherer dünkte er sich,
wenn minder wichtige Männer an der Spitze der einzelnen Landes-
theile ständen. Es gab außer den Grafen, den eigentlichen Verwal¬
tern der Provinzen, besondere Beamte, Sendboten genannt; diese
reisten in den einzelnen Landestheilen oder Provinzen umher und unter¬
suchten den Zustand des Landes, das Verwaltungswesen der Grafen und
die Amtsthätigkeit der Richter. Vor sie brachte man die Klagen, welche
dann nach dem herkömmlichen Rechte des Volkes oder nach neuen Ge¬
setzen, die Karl erst gegeben hatte, entschieden wurden. Die Sendboten
legten dem Kaiser jährlich ausführliche Berichte vor, so daß er in steter
Bekanntschaft mit den Verhältnissen aller-seiner Länder blieb. Die
Strafbestimmungen waren nicht bei allen Völkern gleich, zum Theil
sehr hart. Nach dem Gesetze der Sachsen wurde jeder, der einen
Ochsen, ein Pferd, einen Bienenstock gestohlen oder überhaupt einen
") Eigentlich nach damaliger Jahresbestimmung im Jahre 801; denn
man fing zu jener Zeit nicht, wie jetzt, erst mit dem Feste der Be¬
schneidung, sondern mit dem Feste der Geburt Jesu, das neue Jahr an