Full text: Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs

54. Der kleine Friedensbote. 
Eph. 4, 26. 
Ein Gerber und ein Bäcker waren einmal Nachbarn, und die 
gelbe und meiste Schürze vertrugen sich aufs beste. Wenn dem Ger¬ 
ber ein Kind geboren wurde, hob es der Bäcker aus der Taufe, und 
wenn der Bäcker in seinem großen Obstgarten an die Stelle eines 
ausgedienten Invaliden einen Rekruten bedurfte, ging der Gerber in 
seine schöne Baumschule und hob den schönsten Mann aus, den er 
darin hatte, eine Pflaume, oder einen Apfel, oder eine Birne, oder 
eine Kirsche, je nachdem er auf diesen oder jenen Posten, auf einen 
fetten oder magern Platz gestellt werden sollte. — An Ostern, an 
Martini und am heiligen Abend kam die Bäckerin, welche keine Kin¬ 
der hatte, immer, einen großen Korb unter dem Arme, zu den Nach¬ 
barsleuten hinüber und theilte unter die kleinen Pathen aus, was 
ihr der Hase, oder der gute Märte, oder gar das Christkindlein selbst 
unter die schneeweiße Serviette gelegt hatten. — Je mehr sich die 
Kindlein über die reichen Spenden freuten, desto näher rückten sich 
die Herzen der beiden Weiber, und man brauchte keine Zigeunerin 
zu sein, um aus dem Satz in ihren Kaffeeschalen zu prophezeien, 
daß sie einander immer gut bleiben würden. 
Aber ihre Männer hatten ein jeglicher einen Hund, der Gerber 
als Jagdliebhaber einen großen, braunen Feldmann und der Bäcker 
einen kleinen, schneeweißen Wächter. Beide meinten die besten und 
schönsten Thiere in ihrem Geschlechte zu haben. Und da geschah es 
denn eines Tages, daß Wächter ein Kalbsknöchlein gegen den Feld¬ 
mann behauptete. Denn er hatte wahrscheinlich vergessen, daß es 
nicht gut sei, einem großen Herrn Etwas abzuschlagen. Vom Knur¬ 
ren kam es zum Beißen, und ehe sich der Bäcker von seiner grünen 
Bank vor dem Hause erheben konnte, lag sein Hündlein mit zer¬ 
malmtem Genick vor ihm, und der Feldmann lief mit dem eroberten 
Knochen und mit eingezogenem Schweif davon. Sehr ergrimmt und 
entrüstet warf der Herr des Erwürgten dem Raubmörder einen ge¬ 
waltigen Stein nach. Aber was halfs? Die Handgranate flog 
nicht dem Hunde an den Kopf, sondern dessen Besitzer durch das 
Fenster, mitten auf den Tisch, an dem er gerade die Zeitung las. 
Ohne zu fragen, woher der Schuß gekommen sei, riß der Gerber 
den zertrümmerten Fensterflügel auf und fing an zu schimpfen. Der
	        
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