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frone gestrahlt. Aber dieser Glanz war ein so herrlicher, daß das deutsche Volk
seines Kaisers Friedrich, des Vielgeliebten, nie vergessen wird.
In der Bekanntmachung, in welcher sein Sohn und Nachfolger. Wilhelm II.. das
Ableben des Kaisers verkünden ließ, heißt es:
Nun hat dcr Königliche Dulder ausgerungen. Die Kaiserin und Königin trauert um
den geliebten, so treu gepflegten Gemahl. Die Kinder beweinen den liebevollen Vater.
Die hochbetagte Mutter beklagt den Verlust des einzigen Sohnes. Das Königliche Haus
vermißt sein teures Haupt. Und das Volk klagt um den Heimgang seines heißgeliebten
Landesvaters.
Seine edle Männlichkeit, seine machtvolle Erscheinung, sein ritterlicher Sinn, seine
Leutseligkeit und Freundlichkeit gewannen ihm frühzeitig die Herzen. Vor allen hingen
mit Begeisterung ihm an die, welche unter ihm gekämpft und gesiegt hatten. Der Süden
und der Norden Deutschlands waren in der Liebe zu ihm, in dem Vertrauen auf ihn geeinigt.
Ein siegreicher Held im Kriege, hat er sich auch als Held erwiesen im Dulden und
Tragen. Lerne leiden ohne zu klagen*) — diese Losung hat er selbst geübt. Still, er¬
geben, voll ungebrochenen Gottvertrauens hat er sein schweres Geschick getragen und mit
jener erhabenen Tapferkeit, die er in zahlreichen Schlachten bewiesen, hat er auch dem
nahenden Tode in's Angesicht geschaut.
62. Kaiser Wilhelm II. (15. Juni 1888.)
1. Zugend. Kaiser Wilhelm II., der älteste Sohn des Kaisers Friedrich,
wurde am 27. Januar 1859 geboren. Zugleich mit den ersten Lese- und
Schreibübungen begannen auch die soldatischen Übungen. Durch den Eifer, den er
besonders bei den letzteren an den Tag legte, wurde er bald der Liebling seines Gro߬
vaters, des Kaisers Wilhelm. Nachdem der Prinz 1874 koufimiert worden war,
schickten ihn seine Eltern auf das Gymnasium in Kassel. Auf Befehlder Eltern sollte
er hier wie alle anderen Schüler behandelt und durften ihm keinerlei Vorrechte ein¬
geräumt werden. Die Lehrer mußten ihn daher einfach „Prinz Wilhelm" und „Sie"
snicht: Königliche Hoheit) anreden. Wer den Prinzen in seinem schlichten Anzüge auf der
Schulbank sitzen sah, der ahnte wohl schwerlich, daß er hier den einstigen deutschen Kaiser
vor sich habe. Fast 3 Jahre blieb Prinz Wilhelm in Kassel. Als er dann an seinem 18.
Geburtstage seine Abgangsprüfung ablegte, erhielt er das Zeugnis, daß er den An¬
forderungen der Prüfung in „ehrenvoller Weise" genügt habe. Auch wurde ihm eine
der drei Denkmünzen überreicht, welche an die drei fleißigsten und würdigsten Primaner
zur Verteilung kamen. Nach der Schulzeit trat Prinz Wilhelm als Offizier in das
Garderegiment zu Potsdam ein. Als ihn sein Großvater den Offizieren vorstellte,
schloß er seine Rede mit den Worten: „Nun gehe und thue deine Pflicht, wie sie dich
gelehrt werden wird. Gott sei mit dir!" Um sich aber auch noch in den Wissenschaften
zu vervollkommnen, hielt der Prinz sich später längere Zeit auf der Universität
Bonn auf.
2. HkewrnäHkung. Am 27. Februar 1881 vermählte sich der Prinz Wilhelm
mit der Prinzessin Vikloria Augusta von Schleswig-Holstein. Dieser Ehe entsprossen
4 Söhne, von denen der älteste, der jetzige Kronprinz Wilhelm, am 6. Mai 1882
geboren ist.
3. Thronbesteigung. Am 15. Juni 1888, dem Todestage seines edlen Vaters,
bestieg der Kronprinz Wilhelm den deutschen Kaiserthron. Wie sehr ihm des Volkes
Wohl am Herzen liegt, davon zeugt sein Erlaß „An Mein Volk", in welchem er sagt:
„Aut den Thron Meiner Väter berufen, habe Ich die Regierung im Aufblicke zu dem
Könige aller Könige übernommen und Gott gelobt, nach dem Beispiele Meiner Väter
Meinem Volke ein gerechter und milder Fürst zu sein, Frömmigkeit und Gottesfurcht zu
pflegen, den Frieden zu schirmen, die Wohlfahrt des Landes zu fördern, den Armen und
Bedrängten ein Helfer, dem Rechte ein treuer Wächter zu sein."
*) Diese Worte hatte Friedrich auf dem Krankenbette seinem Sohne, dem jetzigen
Kaiser Wilhelm II, auf ein Blatt Papier geschrieben.