Full text: Lesebuch für weibliche Fortbildungs- und Feiertagsschulen

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12. In der Kinderstube. 
richtet, also die eigene Kraft dazu benutzt. Alle künstlich eingerichteten Unter¬ 
stützungen, wie Laufkörbe, Gängelband re. veranlassen zu heftige vorzeitige 
Bewegungen, drücken die Brust und krümmen die Wirbelsäule und die Beine. 
Ein so unterstütztes Kind verläßt sich zu sehr auf fremde Hilfe, wendet seine 
eigene Kraft nicht an und gewinnt kein Selbstvertrauen. Wenn das Kind 
gehen kann, so lasse man es nicht zu lange gehen. Ist es müde und will es 
nicht mehr, so gewähre man ihm Ruhe. Beim Laufen und Svringen bewahre 
man es vor Überanstrengung. 
Für die Bildung der Sinne kann in der Kinderstube schon viel ge¬ 
schehen. Gehör und Gesicht erfordern, als die edelsten Sinne, die sorgsamste 
Pflege. Das Gehörorgan wird gepflegt durch Reinhaltung der äußeren 
Gehörwege von überflüssigem Ohrenschmalz, durch Abhärtung gegen äußere 
Witterungs Verhältnisse, durch Vermeidung von raschem Wechsel der Tempe¬ 
ratur und von zu starkem Schall, wodurch das Trommelfell leicht zerreißt. 
Man vermeide an der Wiege des Säuglings allen Lärm und alles starke 
Geräusch. Die Worte, welche man zu ihm spricht, seien sanft; wenn das 
Kind selbst sprechen lernt und sprechen kann, so gewöhne man es an sanftes, 
wohllautendes Sprechen. Man mache es auf alle Töne im Naturleben auf¬ 
merksam und lehre es genau hören. 
Dem Auge schadet grelles und schnell wechselndes Licht, Schauen in die 
Sonne oder aus glänzende Gegenstände, vieles und anhaltendes Lesen und 
Schreiben, Lesen in der Dämmerung, Lesen zu kleinen Druckes, Lesen beim 
Gehen und Fahren, Schreiben mit blasser Tinte, besonders bei Kerzenlicht, 
Staub, Rauch, Schielen nach der Seite. 
Um die Sprache des Kindes zu bilden, sage man ihm langsam, deutlich 
und richtig einzelne Worte vor und wiederhole sie so lange und lasse sie so 
oft nachsprechen, bis das Kind den Wortlaut genau, deutlich und ohne Mühe 
hervorbringt. Ein großer, sehr häufig vorkommender Fehler ist es, daß man 
nicht nur die falsche Aussprache der Kinder duldet, sondern dieselbe belächelt, 
ja sogar komisch lautende Ausdrücke zu wiederholen veranlaßt. Allmählich 
gebe man dem Kinde zuerst in kleinen, dann in längeren Sätzen Aufträge 
an Hausgenossen, die es zuerst nachsprechen, dann überbringen muß, worauf 
es die Antwort zurückzubringen hat. Endlich erzähle man dem Kinde Ge- 
schichtchen und lasse sie von ihm wiedererzählen oder es eigene Erlebnisse 
berichten. Kinder in der Wiege lauschen schon gern dem Gesang der Mutter- 
Gesang wirkt auf das Gemüt; wer für die Kinder und mit ihnen singt, trägt 
zur Erheiterung des Gemütes bei. 
B. Geist es- und Gemütsbildung. 
Die Entwicklung des jungen Geisteskeimes hängt von dem Geiste und 
dem Gemütsleben der Mutter oder deren Stellvertreterin ab. Die Seele des 
Kindes ist ein weicher und für Eindrücke äußerst empfänglicher Stoff. Bei 
dem ungemein großen Nachahmungstriebe der Kinder ist das Beispiel 
der Erzieherin von höchster Wichtigkeit. Wo diese den Pflichten lebt, welche 
das stille, eingezogene Familienleben erfordert, da empfängt es unvermerkt 
Sinn für Häuslichkeit. Wo auf Ordnung gehalten wird, da gewöhnt es sich
	        
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