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Bestreben durch eine gewisse Anzahl der Lehrer geht, diese rechte Mittel¬ 
grenze zu ignorieren, tief, tief hinabzusteigen, alles mögliche zu ver¬ 
anschaulichen, alle Erlebnisse haarklein vorzuführen, und man merkt es 
nicht, daß dabei der kindliche Standpunkt, das kindliche Streben und 
Wissen unterschätzt wird. Was sollen z. B. in der Schule die Ab¬ 
zählreime und Koselieder (Ich und du, Bäckers Kuh. A, B, 
die Katze lief im Schnee. Wer will gute Kuchen backen, der muß haben 
sieben Sachen), die die Kinder selbst nicht für recht würdig halten, in 
der Stunde gesagt zu werden, was alle die Vorbereitungen und Er¬ 
klärungen der Volkslieder und Märchen? Was soll denn noch, 
so fragen wir, und so fragt auch gewiß jeder gebildete Vater, z. B. in 
den Volksliedern: „Fuchs, du hast die Gans gestohlen", oder „Gestern 
abend ging ich aus" und vielen anderen, erklärt und abgefragt werden? 
Verlangt etwa die kindliche Phantasie danach? Nimmermehr. Und 
was bedürfen die Märchen der Vorbereitungen und langen Erklärungen 
und Anwendungen? Und dennoch hält man es für notwendig, dem 
Lehrer ganz ausführliche Anleitungen dazu zu geben. Man legt ihm 
in sogenannten Musterlektionen Fragen in den Mund, wie: Was hat 
das Pferd vorn, was hinten? Wieviel Beine hat es? Wer hat die 
Steine gesehen? Was soll der Jäger?, und Befehle: Zeige mir einen 
Baum! Du auch! während die Kinder im Garten stehen, die allenfalls 
für 2- bis 3 jährige Kinder passen. Man glaubt die Kinder darauf 
aufmerksam machen zu müssen, daß mache Dinge kalt, manche warm, 
manche schwer, manche leicht, manche eckig, manche rund usf. sein können. 
Es gibt auch Lehrer, die das Stäbchenlegen lehren wie in den Spiel¬ 
schulen, auch läßt man neuerdings die Buchstaben und Ziffern plastisch 
aus Ton darstellen „zur besseren Einprägung" derselben x). In aller- 
neuester Zeit werden sogar Versuche gemacht mit dem Modellieren 
von Kugeln, Kirschen, Zwiebeln aus einer weichen, verschieden gefärbten 
Masse. Es sind dies jedenfalls ganz gut gemeinte Bestrebungen, dem 
weniger geschickten Lehrer aufzuhelfen und den Unterricht zu beleben, 
aber in der Tat nichts als verfehlte, zeitverschwendende Spielereien und 
Tändeleien, die allenfalls in der Kleinkinderschule vorgenommen werden 
mögen oder in viel späterer Zeit. Das meiste von dem soeben Ange¬ 
deuteten lernt das gesunde Kind ganz von selbst durch den Umgang. 
Sein ganzes Leben ist ein fast ununterbrochenes Sehen und Hören, 
Betasten, Fühlen und Nachahmen. Wollen wir denn diesem eigenen 
Tun und Lernen gar nichts überlassen? Wollen wir seine eigenen 
Kräfte und Gedanken durch fortwährendes Gängeln und Korrigieren, 
durch fortgesetztes Vormachen und Zusehen niemals zur Geltung kommen 
lassen? Die Schule ist vor allem U nterrichtsanstalt, in ihr soll 
das Kind planmäßig beeinflußt und in seinen Kräften gehoben 
werden; da gibt es keine Zeit für solche tändelnde, ablenkende Be¬ 
schäftigung, die die Kinder viel lieber ohne jede Aufsicht uud Be¬ 
einflussung aufsuchen. In der Schule wollen sie Neues sehen und hören. 
0 L eh mens ick, Sem.-Oberl. Fr., Das Prinzip des Selbstfindens in seiner 
Anwendung auf den ersten Sprachunterricht. (III, 32 S.) Bleyl & Kaemmerer. 80 Pf.
	        
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