Full text: [Teil 2 = Kl. 7] (Teil 2 = Kl. 7)

endlich nicht weit bei einem Felsen niederstieß. Gleich darauf hörten sie 
einen durchdringenden, jämmerlichen Schrei. Sie liefen herzn und sahen 
mit Schrecken, daß der Adler ihren alten Bekannten, den Zwerg, gepackt 
hatte und ihn forttragen wollte. Die mitleidigen Kinder hielten gleich 
das Männchen fest und Zerrten sich so lange mit dem Adler herum, bis 
er seine Beute fahren ließ. Als der Zwerg sich von dem ersten Schrecken 
erholt hatte, schrie er mit seiner kreischenden Stimme: „Konntet ihr nicht 
säuberlicher mit mir umgehen? Gerissen habt ihr an meinem dünnen 
Röckchen, daß es überall zerfetzt und durchlöchert ist, unbeholfenes und 
täppisches Gesindel, das ihr seid!" Dann nahm er einen Sack mit Edel¬ 
steinen und schlüpfte wieder unter den Felsen in seine Höhle. Die Mädchen 
waren an seinen Undank schon gewöhnt, setzten ihren Weg fort und ver¬ 
richteten ihr Geschäft in der Stadt. Als sie beim Heimweg wieder auf 
die Heide kamen, überraschten sie den Zwerg, der ans einem reinlichen 
Plätzchen seinen Sack mit Edelsteinen ausgeschüttet und nicht gedacht 
hatte, daß so spät noch jemand daherkommen würde. Die Abendsonne 
schien über die glänzenden Steine, sie schimmerten und leuchteten so 
prächtig in allen Farben, daß die Kinder stehen blieben und sie betrach¬ 
teten. „Was steht ihr da und habt Manlaffen feil!" schrie der Zwerg, 
und sein aschgraues Gesicht ward zinnoberrot vor Zorn. Er wollte mit 
seinen Scheltworten fortfahren, als sich ein lautes Brummen hören ließ 
und ein schwarzer Bür aus dem Walde herbeitrabte. Erschrocken sprang 
der Zwerg auf; aber er konnte nicht mehr zu seinem Schlupfwinkel 
gelangen, der Bär war schon in seiner Nähe. Da rief er in Herzens¬ 
angst: „Lieber Herr Bär, verschont mich, ich will Euch alle meine Schütze 
geben, sehet, die schönen Edelsteine, die da liegen. Schenkt mir das 
Leben! Was habt Ihr an mir kleinem schmächtigen Kerl? Ihr spürt 
mich nicht zwischen den Zähnen. Da, die beiden gottlosen Mädchen packt, 
das sind für Euch zarte Bissen, fett wie junge Wachteln, die freßt in 
Gottes Namen." Der Bär kümmerte sich um seine Worte nicht, gab dem 
boshaften Geschöpf einen einzigen Schlag mit der Tatze, und es regte sich 
nicht mehr. 
8. 
Die Mädchen waren fortgesprungen, aber der Bär rief ihnen nach: 
„Schneeweißchen und Rosenrot, fürchtet euch nicht, wartet, ich will mit 
euch gehen!" Da erkannten sie seine Stimme und blieben stehen, und als 
der Bür bei ihnen war, fiel plötzlich die Bärenhaut ab, und er stand da 
als ein schöner Mann und war ganz in Gold gekleidet. „Ich bin eines 
Königs Sohn," sprach er, „und war von dem gottlosen Zwerg, der mir
	        
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