Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberstufe mehrklassiger Schulen

101 
hätte lieber Holz dafür hacken wollen zwanzig Jahre lang, alle 
Wochentage. Eh aber der Morgen kam, waren schon zwei Saiten 
an seiner Geige gerissen, und da es Tag wurde, riss die dritte, und 
der Geiger spielte nun bloss noch auf der vierten und letzten, und 
wäre die auch noch gerissen, so hätte ihm der Wolf, der durch 
das viele Heulen die ganze Nacht hindurch nur noch hungriger 
geworden war, keine Zeit mehr gelassen zum Wiederaufziehen, 
sondern hätte ihn dabei aufgefressen. Da kam zum Glück der alte 
Jobst, der Jäger, der den Wolf schon von weitem singen, den 
Geiger aber in der Nähe geigen hörte. Dieser zog den Kapell¬ 
meister gerade noch zur rechten Zeit von dem hungrigen Wolfe 
heraus und erlegte dann diesen. Der Kapellmeister gieng aber 
ganz still seines Weges und nahm sich vor, künftig lieber am Tage 
und auf geradem Wege nach Hause zu gehen. Das Geigen im 
Wirtshaus war ihm auch so ganz verleidet, dass er zu seinen 
Kameraden sagte, er wolle sich lieber mit der Nähnadel, denn er 
war ein Schneider, sein tägliches Brot ergeigen, und wenn er ein¬ 
mal eins auf Saiten aufspielen wollte, so thäte er’s lieber in der 
Kirche als im Wirtshaus; denn von dort sei ein gerader und 
sicherer Weg nach Hause, sei auch nicht so weit dahin als vom 
Mi lltshaUS. Schubert. 
78. Räthsel um Räthsel. 
Ei, Knabe, ich will dir 
Was zu rathen aufgeben. 
Und wenn du es rathest, 
So kriegst du es eben. 
Und was für Knechte 
Haben keinen Lohn? 
„Der Kartcnkönig 
Ist ohne Thron; 
Was für eine Straße 
Ist ohne Staub? 
Welcher grüne Baum 
Ist ohne Laub? 
Und die Stiefelknechte 
Haben keinen Lohn?" 
Welches schöne Haus 
Hat weder Holz noch Stein? 
„Die Straße auf der Donau 
Ist ohne Staub; 
Der grüne Tannenbauin 
Ist ohne Laub." 
Welcher große Strauß 
Hat keine Blümelein? 
Was für ein König 
Ist ohne Land? 
Was für ein Wasser 
Ist ohne Sand? 
„Das kleine Schneckenhaus 
Hat weder Holz noch Stein; 
Der große Vogel Strauß 
Hat keine Blümelein." 
„Der Zaunkönig 
Ist ohne Land; 
Das Wasser in dem Auge 
Ist ohne Sand." 
Was für ein Herz 
Thut keinen Schlag? 
Und was für ein Tag 
Hat keine Nacht? 
Was für ein König 
Ist ohne Thron? 
„Das todte Herz 
Thut keinen Schlag; 
Und der allcrjüngste Tag 
Hat keine Nacht." 
Des Knaben Wunderhorn.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.