Full text: [Teil 2 = (Mittelstufe), [Schülerband]] (Teil 2 = (Mittelstufe), [Schülerband])

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5. Der Fischreiher. 
Wer das Geringere hochmütig verschmäht, muß zuweilen mit dem Ge¬ 
ringsten vorlieb nehmen. 
Stolz und hochbeinig ging ein alter Fischreiher auf grüner Wiese an 
dem Ufer eines Baches hin. Der warme Sonnenschein lockte ganze Züge 
von Fischen aus denl Grunde in die Fluten hinauf und die Fische jagten 
sich in dem Hellen Wasser und spielten und scherzten. 
Unser Fischreiher sah manch fetten Hecht, den er sich mit leichter Mühe 
holen konnte; aber „Hechte!" sagte er und wendete Hals und Kopf von einer 
Seite zur andern, „Hechte? — nein, Hechte mag ich nicht; es muß ein 
Karpfen sein." 
Er stand und lauerte auf einen Karpfen. Aber Karpfen wollten nicht 
kommen, Karpfen waren nicht da. — Indessen der Hunger war da und wurde 
größer und immer größer. 
„Nun, so will ich denn einen Hecht nehmen, weil es nicht anders sein 
soll," sagte unser Fischreiher; doch die Hechte waren aus den Grund gegangen 
und keiner mehr da. Aber Schleien, schöne fette Schleien waren noch genug 
da und schwammen im Wasser dahin. 
„Schleien! Schleien!" sagte der leckere Züngler, „ja, die möchte ich 
eben! Das wäre gerade eine Speise für eine Zunge, die Geschmack hat! Zieht 
hin in Frieden! Wenn es fehlt, kann ich ja euresgleichen immer haben." 
Und die Schleien zogen unangetastet dahin, wiewohl der Hunger immer stärker 
an ihm nagte. 
Jetzt ging unser Reiher immer tiefer und tiefer in den Bach hinein und 
es zeigten sich zuletzt nur noch Gründlinge. 
„Gründlinge nun gar?" sagte der Reiher zu sich selbst, „Gründlinge? 
Behüt' uns Gott! Ich werde mich sehr in acht nehmen, einen einzigen nur 
anzurühren. Gründlinge gehörten eben für Fischreihers Magen!" 
Über seinen stolzen Bedenklichkeiten waren alle Fische auf den Grund 
gegangen und es ließ sich keiner mehr sehen. Aber der Hunger war nicht 
mit den Fischen fortgegangen, sondern nagte und plagte ihn so sehr, daß er 
es nicht mehr aushalten konnte. Nicht Hecht, nicht Schleie, nicht Gründling 
war mehr da — nur ein paar Frösche fanden sich, mit welchen er zuletzt 
vorlieb nehmen mußte. Löhr. 
6. Der Rangstreit der Tiere. 
1. 
Es entstand ein hitziger Rangstreit unter den Tieren. „Ihn zu schlichten," 
sprach das Pferd, „lasset uns den Menschen zu Rate ziehen; er ist keiner von 
den streitenden Teilen und kann desto unparteiischer sein." „Aber hat er auch 
den Verstand dazu?" ließ sich ein Maulwurf hören. „Er braucht wirklich den 
allerfeinsten, unsere oft tief versteckten Vollkommenheiten zu.erkennen." 
„Das war sehr weislich erinnert!" sprach der Hamster. „Ja wohl!" 
rief auch der Igel. „Ich glaube es nimmermehr, daß der Mensch Scharf- 
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