7
auf die Schulter und lächelte noch einmal zufrieden mit seiner Arbeit in den
Schatten des geretteten Baumes hin und wollte in den Hain zurück, um
andere Stäbe zu holen; aber die Dryas ries ihm mit lieblicher Stimme aus
der Eiche zu: „Sollt' ich unbelohnt dich weglassen? Gütiger Hirt! Sage
mir's, was wünschest du zur Belohnung; ich weiß, daß du arm bist und nur
fünf Schafe zur Weide führest." „O, wenn du mir zu bitten vergönnest,
Nymphe," so sprach der arme Hirt, „mein Nachbar Palemon ist seit der
Ernte schon krank, laß ihn gesund werden!"
So bat der Redliche und Palemon ward gesund; aber Amyntas sah
den mächtigen Segen in seiner Herde und bei seinen Bäumen und Früchten
und ward ein reicher Hirt, denn die Götter lassen die Redlichen nicht un¬
gesegnet. Salomon Gehn er.
12. Die Eiche und der Efeu.
Zu der Zeit, als der Efeu in den Wäldern noch allein wuchs und
seine dünnen Zweige auf dem dürren Boden ausbreitete, stand ein uralter
Eichbaum einsam und verlassen in dem Haine. Wie ein Hilfeflehender streckte
er seine kahlen und starren Äste in die Luft empor; nur die oberste Spitze
seines Gipfels war noch mit grünem Laube geschmückt wie ein letzter Hauch
der Erinnerung an die entschwundene Jugendkraft. Ohne Schutz stand er dem
Winde und dem Wetter preisgegeben; die herbstlichen Stürme durchtobten
seine Krone und die Schloßen prasselten an ihm hernieder und zerschlugen
die Rinde seines Stammes.
Da wand sich voll Mitleid eine Efeuranke um ihn herum und stieg
allmählich zu seinem entblätterten Gipfel empor. Beschützt und umgrünt stand
der ehrwürdige Stamm wieder da, als ob Jugend und Schönheit sich dem
Alter vermählt hätten. „Wie schön hat unsre Schwester getan," sprachen
alle übrigen Efeuranken, „lasset uns auch also tun!" Und eine jede von
ihnen umschlang den nächsten Eichbaum, und wie immer die Tugend die Herzen
von der Erde zu den Höhen des Himmels emporzieht, so stiegen auch die edlen
Ranken von dem Boden empor, bis sie die Gipfel der höchsten Bäume er¬
reichten.
Als aber der Engel der Pflanzen durch den Wald ging und sah die
von Efeu umgrünten Eichen, da quoll eine Träne der Rührung unter seiner
Wimper hervor und er sprach: „Seid gesegnet, ihr mitleidsvollen Efeuranken,
grünet zum Lohne für eure edle Tat, grünet auch dann noch, wenn der starre
Hauch des Winters die Wälder ihres Schmuckes beraubt und die trockenen,
braunen Blätter sich furchtsam zusammenziehen! Und wenn ein weißes Leichen¬
tuch die schlummernde Erde bedeckt, dann sollt ihr den Sterblichen verkünden:
Der Tod ist nur ein Schlaf, denn aus den schneeumhüllten Stämmen blickt
ein Schimmer der Hoffnung euch ^ntgegeu und ruft euch zu: Harret des kommen¬
den Frühlings!" Nach H. Zollikofer.