Volltext: [Teil 2 = (Mittelstufe), [Schülerband]] (Teil 2 = (Mittelstufe), [Schülerband])

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auf die Schulter und lächelte noch einmal zufrieden mit seiner Arbeit in den 
Schatten des geretteten Baumes hin und wollte in den Hain zurück, um 
andere Stäbe zu holen; aber die Dryas ries ihm mit lieblicher Stimme aus 
der Eiche zu: „Sollt' ich unbelohnt dich weglassen? Gütiger Hirt! Sage 
mir's, was wünschest du zur Belohnung; ich weiß, daß du arm bist und nur 
fünf Schafe zur Weide führest." „O, wenn du mir zu bitten vergönnest, 
Nymphe," so sprach der arme Hirt, „mein Nachbar Palemon ist seit der 
Ernte schon krank, laß ihn gesund werden!" 
So bat der Redliche und Palemon ward gesund; aber Amyntas sah 
den mächtigen Segen in seiner Herde und bei seinen Bäumen und Früchten 
und ward ein reicher Hirt, denn die Götter lassen die Redlichen nicht un¬ 
gesegnet. Salomon Gehn er. 
12. Die Eiche und der Efeu. 
Zu der Zeit, als der Efeu in den Wäldern noch allein wuchs und 
seine dünnen Zweige auf dem dürren Boden ausbreitete, stand ein uralter 
Eichbaum einsam und verlassen in dem Haine. Wie ein Hilfeflehender streckte 
er seine kahlen und starren Äste in die Luft empor; nur die oberste Spitze 
seines Gipfels war noch mit grünem Laube geschmückt wie ein letzter Hauch 
der Erinnerung an die entschwundene Jugendkraft. Ohne Schutz stand er dem 
Winde und dem Wetter preisgegeben; die herbstlichen Stürme durchtobten 
seine Krone und die Schloßen prasselten an ihm hernieder und zerschlugen 
die Rinde seines Stammes. 
Da wand sich voll Mitleid eine Efeuranke um ihn herum und stieg 
allmählich zu seinem entblätterten Gipfel empor. Beschützt und umgrünt stand 
der ehrwürdige Stamm wieder da, als ob Jugend und Schönheit sich dem 
Alter vermählt hätten. „Wie schön hat unsre Schwester getan," sprachen 
alle übrigen Efeuranken, „lasset uns auch also tun!" Und eine jede von 
ihnen umschlang den nächsten Eichbaum, und wie immer die Tugend die Herzen 
von der Erde zu den Höhen des Himmels emporzieht, so stiegen auch die edlen 
Ranken von dem Boden empor, bis sie die Gipfel der höchsten Bäume er¬ 
reichten. 
Als aber der Engel der Pflanzen durch den Wald ging und sah die 
von Efeu umgrünten Eichen, da quoll eine Träne der Rührung unter seiner 
Wimper hervor und er sprach: „Seid gesegnet, ihr mitleidsvollen Efeuranken, 
grünet zum Lohne für eure edle Tat, grünet auch dann noch, wenn der starre 
Hauch des Winters die Wälder ihres Schmuckes beraubt und die trockenen, 
braunen Blätter sich furchtsam zusammenziehen! Und wenn ein weißes Leichen¬ 
tuch die schlummernde Erde bedeckt, dann sollt ihr den Sterblichen verkünden: 
Der Tod ist nur ein Schlaf, denn aus den schneeumhüllten Stämmen blickt 
ein Schimmer der Hoffnung euch ^ntgegeu und ruft euch zu: Harret des kommen¬ 
den Frühlings!" Nach H. Zollikofer.
	        
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