Full text: Lesebuch zur Geschichte der deutschen Literatur alter und neuer Zeit

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sprach: O Gott voll Liebe! hat das Nichts, das durch dich Etwas 
ward, deine Wege getadelt? Hat der Staub, dein du Seele gabst, 
hat er auf die Rechnung seiner Berdienste geschrieben, was Geschenke 
deiner Erbarmung waren? Hat der Unwürdige, den du an deinem 
Busen, an deinem Herzen nährtest, dem du so manchen Tropfen 
Seligkeit reichtest aus deinem eigenen Becher, hat er deiner Gnaden 
und seiner Vorzüge vergessen? — Schlage sein Auge mit Blindheit! 
laß ihn nie wieder die Stimme der Freundschaft hören! laß ihn 
grau werden im Kerker! Mit willigem Geist soll er's tragen, dankbar 
gegen die Erinnerung seiner genoßnen Freuden und selig in Erwar¬ 
tung der Zukunft! 
<Es war meine ganze Seele, Viviani, die ich in diesem Gebete 
hingoß; aber nicht das Murren des Unzufriedenen, nur die willige 
Ergebung des Dankbaren hatte der Gott vernommen, der mich zu 
so viel Seligkeit schuf! Denn siehe, ich lebe hier frei zu Arcetri, und 
nur heute noch hat mich mein Freund unter die Blumen des Früh¬ 
lings geführt.' 
Er tappte nach der Hand seines Schülers, um sie dankbar zu 
drücken; aber Viviani ergriff die seinige und führte sie ehrerbietig an 
seine Lippen. 
162. 
Weihnachtsfeier. 
'ES werde Licht'.' 
1 Mos. 1 3. 
Von ColShorn. 
DeS deutschen Knaben Wunderhorn. Hannover 1860. S. 504. 
-Strahlet hell in allen Landen, Weihnachtskerzen, schaffet Licht! 
Springt hervor aus euren Banden, Geistesfunken, schasset Licht! 
Alle Sterne, tief versteckt im fernen blauen Himmelsraum, 
Sonnen, die in Nebel standen, rückt hervor und schaffet Licht! 
Rascher Blitz in schwarzer Wolke, Himmelsröthen, Mondesstrahl, 
Und wo Lichter sind vorhanden, flammet auf und schaffet Licht! 
Diamanten, Edelsteine, die im Schoß der Berge ruhn, 
Perlen in der Muschel Banden, steigt empor und schaffet Licht! 
Tropfen ihr an schwanken Halmen, Wogen ihr im Ozean, 
Gletscher ihr in fernen Landen, leuchtet auf und schaffet Licht! 
Käferlein voll Glut und Flamme, Würmchen mit dem stillen Schein, 
Die beim Herbsteshauch verschwanden, wachet ans und schaffet Licht! 
Bienen in den stillen Zellen, die des Schlafes Nacht umstrickt, 
Schwebt hervor aus eure« Banden, sammelt Wachs und schaffet Licht! 
Wollenheerden, Hörnerträger, Schöpfungsriesen in der See, 
Wo die stolzen Schiffe stranden, laßt den Leib und schaffet Licht! 
Saat und Mohn und du, Olive, Wollenstaude, Kieferspan, 
Pflanzen ihr in allen Landen, flannnet auf und schaffet Licht! 
Kohle in den schwarzen Grüften, und dn, morsches Moorgewächs, 
Wo nur Funken sind vorhanden, glühet ans und schaffet Licht! 
Geister in der finstern Tiefe, die voll Grimms und düstern Wahns 
Sich in Zweifels Ketten wanden, macht euch frei und schaffet Licht!
	        
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